Konzepte der Krise

Obwohl er in der medialen Öffentlichkeit allgegenwärtig scheint, verändert sich der Begriff der Krise beständig. Mit dem jeweiligen Konzept verschieben sich auch die Handlungspotenziale, welche die Argumente der Krise in ihrer Rhetorik freisetzen möchten. Gilt es im politischen Einsatz des Begriffes Entscheidungen zu provozieren, schränken dessen Verwendungen in Bezug auf unsere Ressourcen und die Ökologie des Planeten unsere Handlungen geradezu ein. Zu verstehen, wie eine Krise funktioniert, wie sie sich nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich ausbreitet und schließlich was der Begriff der Krise mit uns macht, wenn wir mit ihm konfrontiert werden, ist die Herausforderung, der sich die Wissenschaft gemeinsam mit der Kunst sowie dem Design in dieser Ausstellung und somit im Licht der Öffentlichkeit stellt. Unterschiedliche Aspekte der Krise werden sowohl von der Wissenschaft, dem Design und der Kunst unterschiedlich beleuchtet werden.

Forschungsprojekte:

Was kennzeichnet eine Krise? Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Krisen? Und wenn ja, kann man daraus Rückschlüsse darüber ziehen, an welchen Stellen im Verlauf einer Krise sich Möglichkeiten ergeben, um diese gut und nachhaltig zu lösen? Krisen enden nicht zwangsläufig in einer Katastrophe, sondern markieren vielmehr einen kritischen Moment und Wendepunkt, in dem man schnelle Entscheidungen treffen muss. Krisen können nicht objektiv festgestellt werden. Erst die Wahrnehmung einer Situation als Krise definiert sie. Krisen sind mit Stress verbunden, da es unter Zeitdruck eine als bedrohlich empfundene Situation zu entschärfen gilt. Erschwerend kommt hinzu, dass kein gesichertes Wissen darüber vorliegt, wie die Krise zu lösen ist. Das bedeutet, dass abseits von Routinen gehandelt werden muss. 

Das Projekt „Resilienter Krisenumgang: Die Rolle von Beratung bei der Schaffung und Nutzung von ‚Gelegenheiten‘ in Krisenverläufen“, durchgeführt am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS), hat zum Ziel, besser zu verstehen, wie Krisensituationen erfolgreich bewältigt werden können. Drei Krisenverläufe werden hierfür miteinander verglichen – eine wirtschaftliche Krise, eine Umweltkrise und eine politische Krise. Ein besonderer Fokus des Projektes liegt dabei auf der Frage, welche Rolle Expertinnen und Experten bei der Krisenbewältigung spielen. Hierzu gehören z. B. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zur Bewältigung einer Situation um Rat gefragt werden. Was müssen sie über Krisen und über ihre eigene Rolle wissen, wenn sie als Beraterinnen und Berater in Krisen tätig sind?  

Raum und Zeit werden dabei als zentrale Faktoren zur Beantwortung der Forschungsfragen betrachtet, die in ihrer Zusammenführung Erkenntnisse für den praktischen Umgang mit Krisen liefern können. Die Bezüge der Krise zum Raum werden besonders deutlich, wo etwa von „Krisenregionen“ die Rede ist oder „Ansteckungsgefahren“ innerhalb und zwischen Branchen oder Industrien thematisiert werden (sog. „Spillover-Effekte“). Auch in Diskussionen um territoriale Zuständigkeiten für das Krisenmanagement tritt die räumliche Dimension hervor. Ziel der Forschung ist es, die Facetten von Räumlichkeit der Krise – als netzwerkförmige, topologische, territorial zugehörige oder skalierbare – auszuleuchten und deren Verbundenheit herauszustellen. Wenn die dramatische Situation überwunden ist, wird die Krise reflektiert und häufig in eine lineare Chronologie eingeordnet. In der Aufarbeitung spricht man dann z. B. von Warnsignalen, die zu spät erkannt oder zu lange ignoriert wurden. Dieser rekonstruierte Krisenverlauf ist zwar relevant, um nach der Krise Veränderungen vorzunehmen. Er lässt aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Bewältigung der akuten Krise selbst zu, von der die Akteure überrascht werden. Im Projekt geht es um konkrete Situationen der Krisenbewältigung, etwa die Interaktion in einem Krisenstab. Eines der Ergebnisse ist, dass Krisen ihren Schrecken verlieren, wenn man sie als besondere Handlungskontexte der Entscheidungsfindung begreift. So zeigen gesammelte Interviews, dass Menschen, die beruflich mit vielen Krisensituationen zu tun haben, Krisen nicht unbedingt als furchterregend erleben, sondern als effektive „Bewältigungsstruktur“, die sinnvoll ist, wenn Entscheidungen schnell getroffen werden müssen, um Schlimmeres abzuwenden.

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Tagein, tagaus dieselben Nachrichten, nein, nicht dieselben, nur die gleichen: Kriege, Konflikte, Attentate, ein Öltanker ist in Seenot, ein Flüchtlingsboot tut es ihm nach. Ein Wald brennt ab – doch wo nochmal genau? Und Großbritannien – sind die immer noch an Bord? Ertrinkend und erstickend findet man sich oft inmitten einer Flut von beunruhigenden Nachrichten dieser Welt. Die Frage, ob man mit Abstumpfung oder Aktivierung reagieren darf oder soll, stellt sich jedem mehrfach täglich aufs Neue.

Wie der Historiker Rüdiger Graf erläutert, definierte der klassische Krisenbegriff die Gegenwart als Entscheidungssituation, in der menschliches Handeln gefordert war, um die drohende Katastrophe zum Guten zu wenden. Während dieses Verständnis in den inflationären Krisendiagnosen der 1920er- und 1930er-Jahre dominierte, änderte sich dies in den 1970er-Jahren, als die Fähigkeit zur aktiven Zukunftsgestaltung skeptischer bewertet wurde. Im Angesicht komplexer globaler Energie- und Umweltkrisen verlor der Krisenbegriff seine Bedeutung als Durchgangsstadium auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Ausstieg aus dem technischen Fortschritt schien für einige die einzig denkbare Lösung zu sein.

Beide Extreme – totale Ohnmacht und bedingungsloser Fortschrittsoptimismus – sind natürlich einseitig gedacht. Das Potential einer Krise liegt jedoch darin, aus ihr heraus eine eigene Sprache zu entwickeln, die das Private wie das Öffentliche berührt. Im Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam geht man davon aus, dass erst in Erzählungen die Komplexität von Ereigniszusammenhängen so reduziert und zugespitzt wird, dass sie zur „Krise“ werden können. Um diese zu bewältigen, gilt es Wahrnehmungsverschiebungen zu dekonstruieren und, im Diskurs unter Expert_innen wie in der breiten Öffentlichkeit, Richtungsentscheidungen zu prüfen. Dabei ist einzubeziehen, wie auf frühere ähnliche Krisen reagiert wurde, um bewährte Methoden und neue Wege abzuwägen.

Krisen, so der Historiker Frank Bösch, gibt es nie ohne öffentliche Wahrnehmung einer als fundamental bedrohlich angesehenen gesellschaftlichen Herausforderung, die grundlegende Entscheidungen unter Zeitdruck abverlangt. Wie unterschiedliche globale Krisen interagieren und sich beeinflussten, untersuchte er in einem jüngst publizierten Buch anhand von Krisen im Jahr 1979, deren Zusammenspiel in vielen Teilen der Welt eine „Zeitenwende“ bildete: Die iranische Revolution und die Aufnahme der Boat-People aus Vietnam; die grundlegenden Reformen in China, das sich seitdem zur globalen Handelsmacht entwickelte; die Proklamierung der Alternativlosigkeit neoliberalen Denkens durch Margaret Thatcher im Zuge der Weltwirtschaftskrise, ebenso wie die Verbreitung ökologischer Positionen mit den Grünen, nicht zuletzt in Folge eines Atomkraftunfalls und der zweiten Ölkrise.

Die Spannungen zwischen Kapitalismus und Umweltbewusstsein, Weltbürgertum und regionaler Zu-Hause-Mentalität, Säkularisierung und religiöser Spaltung treten bereits hier deutlich hervor. Nach der Krise der Europäischen Einigung Mitte der 1970er-Jahre erfuhr auch diese zum Ende der 70er-Jahre einen Schub durch die ersten Europawahlen und das Europäische Währungssystem. Insofern zeigt der Blick zurück Handlungsspielräume, die aus Krisen entstehen: Die Ereignisse nicht als Einzelfälle, sondern als Zusammenhang zu begreifen, ist eine Aufgabe, die sich umso mehr in einer kommunikativ so umfassend vernetzten Gesellschaft wie der unseren auch als Chance stellt.

 

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Planet in der Krise

Seit dem Beginn der industriellen Revolution hat sich die Durchschnittstemperatur der Erde um 1º erhöht. Jeden Tag sterben 3 bis 130 Arten unseres Planeten aus. Jede Stunde wird über 600 Tonnen Müll in die Meere geladen. Die Erde, unser Planet, ist in der Krise. Diese Krise sind wir. Forschende sprechen bereits vom Anthropozän, also dem Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Wenn wir, unsere Art zu Leben und zu Produzieren die Auslöser der Krise unserer Erde sind, können wir dann auch diejenigen sein, die diese Krise auflösen? Diese Krise des Fundaments menschlicher Existenz zwingt uns nicht nur zu einer Handlung, sondern dazu, unser Handeln grundlegend zu korrigieren. Während die Wissenschaft warnt, die Kunst unsere Aufmerksamkeit schärft und Design nur Lösungen vorschlagen kann, sind wir alle es, die Handeln müssen.

Forschungsprojekte:

Wir leben in einer von wirtschaftlichen Interessen und festgefahrenen Gewohnheiten geprägten Zeit, in der chemische Produktionsverfahren aus Erdöl und Erdgas unseren Alltag und Konsum bestimmen. Fossile Energieträger, die durch die Millionen von Jahren währende Transformation abgebauter toter Pflanzen und Tiere entstanden sind, finden sich fast überall: Von der Seife bis zum Autolack, vom Waschmittel bis zum Joghurtbecher werden zahlreiche Produkte auf Mineralölbasis hergestellt. Der Erderwärmung entgegenzutreten, bedeutet also, den eigenen Lebensstil bis ins Detail zu hinterfragen – nicht jeder, der kein Auto hat, lebt automatisch „klimaneutral“.

Dennoch steuern die Abgase unserer komfortabel motorisierten Benzinfahrzeuge einen entscheidenden Anteil der Treibhausgasemissionen und unmittelbaren Schadstoffbelastung für unsere Gesundheit bei. In weniger wohlhabenden Volkswirtschaften gibt es kaum Emissionsvorschriften, mitunter werden sogar gebrauchte Dieselmotoren, die noch einer Vor-Euro-4-Norm angehören, im öffentlichen Verkehr eingesetzt. Eine der wichtigsten Quellen der Luftverschmutzung in den sich entwickelnden Megastädten Südostasiens sind etwa dieselbetriebene Pkw und Lkw. Mehr als ein Viertel der z. B. auf den Philippinen zugelassenen Fahrzeuge befindet sich in Metro Manila, wo die Verunreinigung durch schwarzen Kohlenstoff einen besonders negativen Einfluss auf die menschliche Gesundheit nimmt.

Ziel der Forschung am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung ist es, die Dosis der in den Atemwegen abgelagerten Ruß-Partikel bezogen auf den Großraum der Megacity Metro Manila zu bewerten. Im Vergleich zu früheren Studien war die berechnete Ablagerungsdosis der gesamten feuerfesten Partikelzahl in Metro Manila bis zu 17 mal höher als die aus Europa und den USA gemeldeten Werte. Es ist daher zu vermuten, dass die Bevölkerung dieser Megacity mit einer erhöhten Sterblichkeit aufgrund von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen konfrontiert sein könnte, wenn die Emissionen von schwarzem Kohlenstoff unkontrolliert bleiben. Ziel sollte daher sein, über eine Überprüfung der Richtwerte insbesondere in Entwicklungsländern die verkehrsbedingten BC-Emissionen zu reduzieren.

Zudem zeigte die Studie, dass Bewohner_innen wohlhabender Viertel einer viel geringeren Schadstoffkonzentration ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung. Auch der Grad der Luftverschmutzung ist also abhängig von sozialen Unterschieden zwischen verschiedenen Wohngegenden und Arbeitsumgebungen. Neben der Entwicklung emissionsärmerer Fahrzeuge sollte es daher Ziel sein, einzelne Mikroumgebungen, etwa an stark befahrenen Straßen, durch Grünflächen aufzuwerten, um die Luftqualität zu verbessern. 

Die Forschung zu und Optimierung von Technologien, etwa im Bereich der Mobilität, ist daher genauso unverzichtbar wie eine selbstkritische Selbstbefragung: Was bedeuten Komfort, Freiheit und Selbstverwirklichung für uns – und wie viel haben diese Vorstellungen mit Konsum, von Raum und Energie, zu tun? Wie wichtig ist Verzicht – und wie bedeutsam die Suche nach Alternativen für einen bewussteren Umgang mit Ressourcen, die nicht unsere eigenen, sondern immer auch die der anderen sind? Gesellschaftliche und ökologische Systeme existieren stets in einem Mit- und Ineinander. Die Lebensqualität einer Gruppe von Menschen, einer Region oder eines Viertels, zu steigern, bedeutet daher immer auch, diese im Wechselverhältnis mit den Lebensweisen und Lebensräumen vieler anderer zu sehen.

 

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Exportierte Nahrungsmittel sind weltweit so begehrt wie krisenhaft, bedenkt man die Belastung, die sie für unser Ökosystem bedeuten. Tatsächlich benötigt Deutschland knapp das Doppelte der eigenen Landesfläche in anderen, häufig ärmeren Ländern, um seinen Bedarf an Agrarprodukten zu decken. Auch die wachsende Nachfrage an Fleisch oder Bio-Sprit in Industrie- und Schwellenländern verbraucht große Mengen an Getreide, Wasser und Bodenfläche, so dass Lebensmittelpreise in die Höhe schießen.

Besonders hart treffen solche Dynamiken jene Länder, die durch politische Unruhen ohnehin bereits geschwächt und anfällig für wirtschaftliche Einbrüche sind. So wurden im Zuge der Proteste im arabischen Frühling, 2011 und 2013, in Nordafrika und insbesondere Ägypten verstärkt etablierte Wirtschaftsstrukturen und Handelsbeziehungen zerstört. Das zuvor anhaltende Wirtschaftswachstum wurde jäh gestoppt und kehrte sich um. Die Arbeitslosigkeit stieg an auf 12,5%, etwa ein Drittel der Bevölkerung leidet unter akuter Armut.

Um die ägyptische Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zu bringen, wurden umfassende wirtschaftliche Reformen durchgeführt. Dazu zählte die Aufgabe der Wechselkursfixierung, mittels derer der Preis des ägyptischen Pfunds künstlich hochgehalten worden war. Mit dem Übergang zum freien Wechselkurs verlor die ägyptische Währung dramatisch an Wert, was mit einer starken Nahrungsmittelinflation einherging, ist Ägypten doch auf diesem Sektor besonders importabhängig. Teuer wurde vor allem der Weizen bzw. das Brot als Grundnahrungsmittel des Landes. Auch die Preise für Düngemittel und Benzin stiegen immens, was für Bauern zunehmend Probleme bereitet – nicht zuletzt da im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen landwirtschaftliche Subventionen abgeschafft wurden. Hinzu kommen Ernteeinbußen durch Dürren, die in den letzten Jahren in Ägypten zugenommen haben. Die Bodenqualität leidet in Folge übermäßiger Bewässerung und Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel. Viele Landwirte produzieren daher wegen hoher Produktionskosten weniger Weizen. Folglich muss mehr Weizen teuer importiert werden. Viele Haushalte haben darum mittlerweile ihre Nahrungsmittel durch qualitativ niedrigerwertige ersetzt und müssen ohnehin einen Großteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. 

Um dieser Krise entgegenzutreten, sind ökonomische Reformen essentiell. So können etwa ein planvoller Abbau von Subventionen oder die Abwertung der Währung Investitionsanreize schaffen und die Märkte stabilisieren. Zudem gilt es Reformen so durchzuführen, dass diese nicht erneute Umwälzungen in der Region auslösen. Hierbei kommt Nahrungsmittelpreisen eine entscheidende Rolle zu. Um der Preisinflation entgegenzuwirken, muss die Selbstversorgung durch gesteigerte Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion verbessert werden. Dies lässt sich etwa erreichen durch eine Optimierung von Fruchtfolgen, d. h. einen zyklisch wechselnden, aufeinander abgestimmten Anbau verschiedener Nutzpflanzen auf einer Fläche, die Reduzierung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie verbesserte Bewässerungssysteme. Ziel ist es, durch einen auch auf digital gestützte Systeme zurückgreifenden „Präzisionsackerbau“ Erträge zu steigern und Produktionskosten zu senken. Hierzu gehört auch die Verhinderung von Verlusten nach der Ernte durch verbesserte Lagerungsmöglichkeiten. 

 

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Klima bewegt – es sorgt für Turbulenzen in der Tagespolitik, bringt Menschen auf die Straße, lässt Standpunkte aufeinanderprallen und macht uns bewusst, wie rasant wir uns auf eine Zukunft zubewegen, in der vieles nicht mehr so sein wird, wie optimistischer Fortschrittsglaube uns vielleicht noch vor wenigen Jahrzehnten suggerierte. Tatsächlich steht jedoch nicht nur die Zukunft auf dem Spiel. Schon in der Gegenwart müssen wir uns als Gesellschaft und als Spezies damit konfrontieren, dass in zahlreichen Regionen der Erde die Lebensqualität entscheidend unter klimatisch zugespitzten Bedingungen, unter Wasserknappheit und Sturmfluten leidet.

Der Klimawandel, vom dem besonders akut die Bevölkerungen in Subsahara-Afrika, Südasien und Lateinamerika betroffen sind, treibt die Migration, auch innerhalb einzelner Länder, voran. Migration kann dabei eine sinnvolle Anpassung an den Klimawandel sein, sofern sie politisch verantwortungsvoll begleitet wird. Viele städtische und periphere Gebiete müssen sich auf einen Zustrom von Menschen vorbereiten, d. h. für bessere Wohnungs- und Verkehrsinfrastruktur, für Sozialdienste und Beschäftigungsmöglichkeiten sorgen. Genauso aber werden klimabedrohte Gebiete weiter eine große Anzahl von Menschen zu versorgen haben. Dies erhöht den Bedarf an Entwicklungsstrategien zur Unterstützung der Menschen vor Ort.

Um das Zusammenspiel zwischen der Durchsetzung von Emissionsbeschränkungen und Entwicklungsmaßnahmen möglichst realistisch, mit Fokus auf die Tendenz für die Zukunft, darzustellen, skizziert die Forschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das mit der CUNY sowie der Columbia University kooperiert, drei mögliche, „optimistische“ und „pessimistische“  Szenarien für die nächsten 30 Jahre. Diese sollen helfen, sich auf durch den Klimawandel hervorgerufene Migrationsbewegungen vorzubereiten. Die interne Klimamigration wird bis 2050 mutmaßlich weiter zunehmen. Herausforderung für die Politik ist es, Betroffenen einen Entscheidungsspielraum zu schaffen, der ihnen, soweit möglich, eine Wahl lässt, ihr Lebensumfeld zu verlassen oder nicht (sofort). Angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung und dem selbst mit gutem Willen nicht mehr umkehrbaren Klimawandel gilt es, einen Zwang zur Migration zu vermeiden und verstärkt an einem „Plan B“ und „Plan C“ zu arbeiten, der es Menschen ermöglicht, in klimatisch „krisenhaften“ Regionen zu leben, ohne dadurch automatisch in der Existenz bedroht zu sein.

Auch innerhalb Deutschlands fordern verschärfte klimatische Bedingungen die Menschen heraus, sich anzupassen, um ihre Lebensgrundlage zu sichern. Um zu wirken, müssen Strategien im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und der Bewahrung des vom Menschen bewirtschafteten Landes im Dialog mit den Menschen vor Ort entwickelt werden. In Friesland etwa kämpfen Menschen häufig schon jahrhundertelang mit Sturm und Flut und Dürre und haben experimentelle Wege gefunden, um der Herausforderung zu begegnen.

Die Zuspitzung der Bedingungen unter den Vorzeichen des Klimawandels erfordert schnelles und zugleich überlegtes Handeln. Bewusste Landnutzung gegen Monokulturen und versiegelte Oberflächen sowie die Bereitstellung von Infrastruktur gehören dazu. Dennoch ersetzen solche Maßnahmen weder eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen noch die Beschäftigung mit der Frage, wie Menschen in betroffenen Regionen unterstützt werden können und ob bestimmte Gebiete, etwa in Küstenregionen, in Zukunft noch bewohnbar sein werden.

 

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»Das Schiff da fährt auch ohne mich«. Mehr vorfreudig auf die Urlaubsreise als entschuldigend lächelt der zu seinem CO2-Fußabdruck Interviewte in die Kamera. Als Zuschauer vor dem Fernsehgerät lässt man den Blick schweifen – und erkennt endlich, dass der scheinbare Häuserblock im Hintergrund, der kein Stück Himmel und keinen Pixel auf dem Bildschirm frei lässt, das Schiff ist, von dem gerade die Rede war. Kreuzfahrten, Billigflieger, Einkaufszentren – die modernen Pfeiler kapitalistischer Wohlfühlzonen bilden zugleich das Bermudadreieck des sogenannten Anthropozäns: des Erdzeitalters des Menschen, der noch nie zuvor so prägend und bleibend auf seine Umwelt einwirkte wie heute.

Die Freuden unseres Jetzt sind zugleich die Last unserer Zukunft, als Verstärker einer »Umweltkrise des Anthropozäns«, wie sie im Fokus der Forschung Volker Mosbruggers steht. Seit den 1950er-Jahren beobachten wir eine »Great Acceleration«: die »große Beschleunigung« der Aktivität des Menschen führt zum exponentiell steigenden Verbrauch aller Rohstoffe. Als Folge davon geht es der Menschheit insgesamt heute so gut wie nie zuvor, was sich auch im Erreichen zahlreicher der im Jahr 2000 formulierten Millenniums-Entwicklungsziele der UN für 2015 widerspiegelt: Noch nie war die Lebenserwartung so hoch, noch nie hatten so viele Menschen Zugang zu Bildung, noch nie litten so wenige unter extremem Hunger. Doch der immer schneller wachsende Einfluss des Menschen geht auf Kosten des Ökosystems – so dass wir heute ein ganzes Syndrom an Umweltproblemen haben: Verlust von Biodiversität, Vordringen der Wüste, Erosion, Überflutung mit Müll, Störung biogeochemischer Kreisläufe, Rohstoffverknappung, etc. Diese stellen als Geflecht die Herausforderungen des Anthropozäns dar: die sogenannten »Anthropocene Challenges«.

Wie aber kann der Mensch die Welt und sich selbst als deren Bewohner vor der eigenen Spezies schützen? Sind hier mehr gezielte Eingriffe in das Ökosystem nötig, durch Produktinnovationen und Management-Pläne für unser Naturverhältnis? Oder hilft nur noch Verzicht – auf Technik, Konsum und motorisierte Fortbewegung? So wenig es eine eindeutige Antwort geben kann, so sicher ist: Wir übernutzen die Natur. Alle sind betroffen vom Anthropozän, unabhängig von sozialem Hintergrund und Nationalität. Das heißt: Es kommt nicht auf Herrn Schmidt allein an, der im Supermarkt auf Plastiktüten verzichtet und anschließend mit dem Auto achthundert Meter nach Hause und am Tag darauf auf dem Kreuzfahrtdampfer in die Arktis fährt. Das Schiff verlässt den Hafen auch ohne ihn. Der Einzelne vermag nicht viel. Und trotzdem besteht die Menschheit aus Individuen. »Der Mensch« im kollektiven Singular seiner Spezies ist einflussreich – und ohnmächtig zugleich, solange man die abstrakte Vorstellung von der Menschheit nicht füllt mit vielen Individuen – das sind wir –, die sich verhalten und die handeln können.

Schon heute flüchten mehr Menschen vor Umweltkrisen als vor Kriegen. Dennoch werden trotz der wachsenden Erkenntnis von der Verwobenheit verschiedener ökologischer und ökonomischer Systeme Teilkrisen immer noch getrennt voneinander, etwa im Rahmen eines einen Weltklimarates (IPCC) oder Welt-Biodiversitätsrates (IPBES), behandelt. Tatsächlich aber müssen die »Anthropocene Challenges« als Systemproblem angegangen werden.

Die externen Kosten unseres Lebensstils, dessen negative Auswirkungen auf Arten und Ökosysteme, die ohne Rücksicht auf wechselseitige Abhängigkeiten unwillkürlich von uns mit geschädigt werden, gilt es in unser Tun und Denken von Beginn an einzubeziehen bzw. zu internalisieren – d. h. selbst zu übernehmen, statt Konsequenzen auf die Lebensbereiche anderer auszulagern. Auch eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die nicht nur auf Verbrauch ausgerichtet ist, sondern Material recycelt und erneuerbare Energien fördert, bietet Ansätze, um die Regeneration von Ressourcen zu unterstützen.

 

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Als die damals 15-jährige Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg 2018 zum ersten Mal vor dem schwedischen Parlament ihr Schild mit dem Slogan »Schulstreik für das Klima« hochhielt, folgte ihr eine ganze Generation junger Menschen und streikte, wie sie, jeden Freitag. Aber warum eigentlich ein Schulstreik für das Klima? Ist ein Streik nicht ein klassisches Mittel des Arbeitskampfes um soziale Gerechtigkeit? Die Forderungen der „Fridays for Future“-Bewegung rückten eine zentrale Einsicht ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit: Der Klimawandel bedroht zwar uns alle, nur eben nicht alle gleich. Eine Generation, die noch sorglos die Ressourcen der Erde verschwendet und in deren Vorstellung die Zukunft nur besser werden konnte, wird von den Folgen des Klimawandels nicht mehr viel mitbekommen. Mit diesen Folgen wird aber genau jene Generation zu kämpfen haben, die jetzt durch den Streik Gerechtigkeit für ihre Zukunft auf diesem Planeten fordert.

Dass andere die Rechnung unseres unnachhaltigen Lebens werden zahlen müssen, ist Kern der Forschung des Klimaphilosophen Darrel Moellendorf. Sein normatives Konzept der Klimagerechtigkeit betrachtet die Krise des anthropogenen Klimawandels als ethisches undpolitisches Problem statt lediglich als ökologische oder technisch-lösbare Herausforderung. Generationsgerechtigkeit ist hierbei nur ein Aspekt, der eine neue Komplexität in unseren Begriff sozialer Gerechtigkeit in Bezug auf den Klimawandel einschreibt. So gibt es einen sozialen Ausgleich bisher nur innerhalb einer Verbindung von rechtlichen Institutionen und Politiken: innerhalb von Staaten. Der Klimawandel stellt diese begrenzte Gerechtigkeit in Frage. Der Klimawandel kennt keine nationale Grenzen. Und dennoch werden diese Grenzen bedeutsam: Menschen, die im Ganges-Delta oder in Manhattan leben, teilen dasselbe Risiko, von Überflutungen durch den steigenden Meeresspiegel betroffen zu werden. Was sie jedoch nicht teilen, ist die Verwundbarkeit durch die verursachten Schäden. Das Ganges-Delta ist durch einen hohen Armutsgrad bestimmt, Infrastrukturen, um Katastrophen entgegenzutreten, sind schwach ausgeprägt und kaum geschützt. Obwohl also der Klimawandel alle betrifft, trifft er die Schwächsten doch am härtesten.

Wenn Bürgerinnen der USA ihre Klimaanlage einschalten oder wenn Europäer Autos fahren, die durch fossile Brennstoffe betrieben werden, dann haben diese Handlungen – unsere Handlungen – Konsequenzen. Konsequenzen, die uns im globalen Maßstab mit ländlichen Dorfgemeinden in Bangladesch, mit Bauern in Äthiopien und Slumbewohnern in Haiti verbinden. Daraus folgt eine komplizierte Verantwortung. Offensichtlich ist die Frage, wer für die Kosten des Klimawandels aufkommen wird – inklusive der Kosten, sich an diesen anzupassen – eine Frage globaler Gerechtigkeit. So geht Moellendorf von der Annahme aus, dass die Erdatmosphäre – inklusive ihrer Fähigkeit, CO2 zu absorbieren – ein Gemeingut ist, für das die Menschheit eine besondere Verantwortung trägt.

Aber wer ist eigentlich verantwortlich? Das CO2 in der heutigen Atmosphäre wurde von unseren Großeltern ausgestoßen. „Wer’s verschmutzt, muss auch bezahlen“ – so lautet das „polluter-pays“-Prinzip. Nur wussten die Menschen es damals nicht besser. Und wer sollte überhaupt proportional zur Verschmutzung vorheriger Generationen zahlen? Der Staat, der dies ermöglichte, oder die Einzelnen, die auch heute noch davon profitieren? Darüber hinaus sind Entwicklungsländer auf eine Erhöhung ihrer Treibhausgasemission angewiesen, um sich wirtschaftlich entwickeln zu können. Das „ability-to-pay“-Prinzip schlägt daher einen anderen Weg vor. So sollten diejenigen Staaten finanziell einspringen, die es sich leisten können, die Schwächeren zu unterstützen. Aber wer organisiert und bestimmt diese Verantwortung und in welchem Umfang? Beide Prinzipien haben Stärken und Schwächen, welche die Fragen der Klimagerechtigkeit verkomplizieren.

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Weltordnung in der Krise

Mit dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs schienen sich die Fortschrittsversprechen der Moderne schlussendlich doch noch in einer neuen, globalisierten Weltordnung zu erfüllen. Ein Weltmarkt, der die Menschen mit den benötigten Gütern versorgt, und eine internationale Staatengemeinschaft, die über das Einhalten der Menschenrechte wacht. 30 Jahre später scheint diese Ordnung ins Wanken geraten zu sein. Neue Despoten verteidigen überwunden geglaubte Egoismen, der Wert und die Gültigkeit internationaler Institutionen werden offen angezweifelt und vormals verbindliche Normen ignoriert. Erleben wir die Krise der liberalen Weltordnung? Oder wird diese Ordnung vielmehr durch die Möglichkeit ihrer krisenhaften Transformation gestärkt? Die Wissenschaft, die Kunst und das Design finden eigene Antworten auf diese Fragen und verschieben unsere Perspektive. Schließlich lässt sich stets die Frage an die Krise dieser Ordnung stellen, aus welcher Sichtweise sie als Krise wahrgenommen wird.

Forschungsprojekte:

Schon seit längerem schreien es die Schlagzeilen von den Titelblättern: Die liberale Weltordnung, heißt es, befindet sich in einer ernsten Krise. Nationale Interessen rücken in den Vordergrund, die regelbasierte Ordnung wird relativiert. Die Abkehr von multilateralen Kooperationen ist ein sichtbares Symptom. Handlungsbeziehungen werden zu Handelskriegen und zivilgesellschaftliches Engagement wird eingeschränkt. Doch ist diese Situation wirklich als Krise zu beschreiben? Wie lässt sich über die verschärfte Situation liberaler Organisationsformen jenseits medialer Rhetorik sprechen? An welchen Daten und Ereignissen soll man die Stabilität des gemeinsamen Normensystems festmachen?

Anhand von Protokollen etwa aus der UN Generalversammlung oder dem UN Sicherheitsrat, Interviews und Recherche in Sekundärliteratur unterscheiden Nicole Deitelhoff und Lisbeth Zimmermann zwei Formen der Hinterfragung von Normen, die nicht automatisch zu deren Schwächung führen müssen: So meint eine Anwendungskontestation den Konflikt über konkrete Situationen, in denen eine Norm angewendet werden könnte oder nicht, sowie über die Art und Weise, in der dies geschehen soll. Eine solche Hinterfragung kann zur Präzisierung und Erweiterung des Geltungsbereichs und somit zur Stärkung der Norm führen. Dies ist zu beobachten im Fall der „Responsibility to Protect-Norm“. Diese formuliert eine Pflicht für Staaten, die Einhaltung von Menschenrechten im eigenen ebenso wie in anderen Staaten zu garantieren, zu unterstützen und, im Notfall militärisch intervenierend, durchzusetzen. Auch wenn gestritten wird, in welchen Situationen die R2P-Norm anzuwenden ist, ist ihre Gültigkeit weitgehend unbestritten.

Eine Begründungskontestation dagegen zieht den Kern der Norm selbst als einhaltungs- und durchsetzungswürdigen in Zweifel und führt tatsächlich oft zu dessen Schwächung. Am Beispiel des Walfangverbots lässt sich zeigen, dass eine solche Dynamik häufig durch mangelnde Kommunikation bedingt ist. So wurde das Verbot zunächst als Moratorium beschlossen, das solange in Kraft bleiben sollte, bis die Walpopulationen sich „erholt“ hätten. Da jedoch in der Zwischenzeit immer mehr gegen den Walfang sich wendende Staaten in der Internationalen Walfangkommission verhinderten, dass eine Neuverhandlung des Anwendungsrahmens für kontrollierten Walfang überhaupt auf die Agenda kommen konnte, wurde das Verbot verstärkt als post-koloniales Instrument empfunden. Die Bereitschaft einzelner Nationen, denen Einfluss und Stimme verwehrt wurde, die Norm anzuzweifeln und zu ignorieren, stieg erheblich an.

Normen müssen zerfallen und sich wandeln können, um sich dem gelebten Alltag anzupassen. Wichtig bleibt die Zugänglichkeit für alle Betroffenen zu einem ergebnisoffenen Diskurs, der aus Zustimmung und Ablehnung, aus Protest und Beifall, aus Rechtfertigungen und Anschuldigungen besteht. Normen, die nicht hinterfragt werden dürfen, deren Diskussion vielleicht gar unterdrückt wird, ohne dass Gegenargumente Gehör fänden, laufen Risiko, von (absichtlich) übersehenen Akteuren auch (absichtlich) übertreten zu werden.

Genauso schaden ausbleibende Reaktionen auf Verstöße einer multiperspektivischen Verständigung über Normen und ihre jeweiligen Geltungsbereiche. So schwindet etwa das Bewusstsein für die Tatsache, dass eine Norm verletzt wird, im „Kampf gegen den Terror“, wie er von den USA oder auch Israel, teils unter Missachtung des Verbots politischer Attentate in Friedenszeiten und des Angriffs auf Zivilisten, geführt wird. Der bloße Fokus auf die eigene Position geht oft mit einer Art „Betriebsblindheit“ einher: Übertretungen werden akzeptiert, sofern dies eine Entlastung der eigenen Außenpolitik von unliebsamen Entscheidungen bedeutet. 

Ein äußerlich auferlegter Konsens jedoch, der nur in eine Richtung blickt, wird leicht taub für die Produktivität des Dissenses zwischen unterschiedlichen Interessen und auch Weltordnungsmodellen. Nur ein solcher Dissens vermag es, Normen als temporär fixierte Zwischenergebnisse einer Verständigung lebendig und beweglich zu halten.

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Als Highlight jeder Afrika-Safari, als Schmusetier und als sympathisches Maskottchen – Elefanten stehen hoch im Kurs, doch leider auch als Jagdtrophäen, heiß begehrt wegen ihrer samtig weißen hohlen Stoßzähne, dem Elfenbein. Die Elefantenbestände in Subsahara-Afrika nehmen ab, allein zwischen 2007 bis 2014 um etwa 30%. Grund dafür ist vor allem die Wilderei und der Verlust von Lebensräumen. Der Trend variiert jedoch stark zwischen den Staaten. So nehmen Elefantenpopulationen etwa in Südafrika oder Uganda zu, in Botswana und Simbabwe – den zwei bevölkerungsreichsten Staaten des Kontinents – sind sie relativ konstant. In der Demokratischen Republik Kongo, im Tschad, in Tansania oder Mosambik hingegen fallen die Zahlen deutlich. Die Datenerhebung des „Great Elephant Census“ (2016) leistet hier auf regionaler, staatlicher und sub-staatlicher Ebene fundierte Bestandaufnahme.

Der Elefant wird als größtes auf dem Land lebende Säugetier auch als „charismatische Megafauna“ bezeichnet – er ist, neben etwa Bengalischen Tigern oder Eisbären eine Tierart, die den Menschen besonders fasziniert und vielerorts besondere kulturelle Bedeutung hat. Für Kampagnen eignen sich diese Tiere besonders, da sie emotionale Reaktionen hervorrufen, und als prominente „Testimonials“ des Artenschutzes für die Bedrohung der Ökosysteme sensibilisieren können.

Was die Forschung über den Elefantenschutz aber darüber hinaus leisten kann, ist das Aufzeigen vielfältiger Zusammenhänge. Die Krise rund um den Elefanten verbindet den Natur- und Artenschutz mit dem Tourismus, transnationaler Kriminalität sowie Fragen internationalen Rechts. Zudem existiert der Steppenelefant nur in Subsahara-Afrika existiert, so dass sich im Elefantenschutz häufig politische Fragen der Nord-Süd-Beziehungen stellen. Grundsätzlich steht die Abnahme der Elefantenbestände dafür, dass akute Krisen oft Ausprägungen tiefergehender Probleme sind – etwa das Versagen staatlicher Institutionen und internationaler Beziehungen.

Anton Peez beschäftigt sich mit den Gründen für die Einhaltung oder Nichteinhaltung des Elefantenschutzes in Subsahara-Afrika. Gemäß der multilateralen Konvention CITES (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora) verpflichten sich Staaten, den internationalen Handel mit Elfenbein zu unterbinden und so indirekt der Dezimierung der Elefantenpopulation entgegenzuwirken. Tendenziell sind Elefantenpopulationen in solchen Staaten rückläufig, die höhere Grade der Korruption und eine weniger funktionierende Organisationsstruktur aufweisen, welche dafür sorgen könnte, dass beschlossene Konventionen auch eingehalten werden.

Ein Großteil der Forschungsliteratur zur Einhaltung internationaler Normen erklärt diese entweder als durch Zwang (coercion) oder über Staatskapazität (capacity) erreichte, d. h. durch wirtschaftlichen Druck oder eine stabile Bürokratie innerhalb des Landes. Darauf aufbauend zeigt Peez, dass es ein solches Entweder-Oder nicht geben kann. Vielmehr spielen zahlreiche Faktoren, etwa das mehr oder weniger konsequente Vorgehen eines Landes gegen Korruption, internationaler Druck und Ächtung (shaming), die Einbindung der lokalen Bevölkerung in den Umgang mit Ressourcen sowie grenzübergreifendes Agieren der Politik hinein. Peez zeigt, dass die Erklärungsmodelle nur in gegenseitiger Ergänzung fruchtbar sein können und unterstreicht die Bedeutung internationaler Kooperation für die Etablierung gemeinsamer Normen und Ziele anhand des Artenschutzes.

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Seit März 2019 steht Mosambik aufgrund der Zerstörung durch den Zyklon Idai im medialen Rampenlicht. Die Situation zwingt die Regierung zum Handeln. Dabei drängen nicht nur Investitionen in den Küstenschutz, die Kanalisation und andere Infrastrukturen, sondern auch lange schwelende Konflikte belasten die Situation im Land. Mehr als 40 Jahre nach der Unabhängigkeit scheint Mosambik von politischer Stabilität und Frieden weit entfernt.

Auf lokaler Ebene führen Großprojekte internationaler Firmen vor allem im Norden des Landes zu sozialen Konflikten und vereinzelten Terroranschlägen. Zudem spaltet sich das Land in den von der ehemaligen Befreiungsarmee Frente de Libertação de Moçambique (FRELIMO) dominierten Süden und die von der gegnerischen Resistência Nacional Moçambicana (RENAMO) regierten zentralen Landesteile. Eine Politik der Repression durch Misswirtschaft und Vernachlässigung großer Bevölkerungsteile prägt das Land, internationale Hilfsgelder versickerten zum nicht unerheblichen Teil in der Hauptstadt. Auch Journalist_innen und Demonstrant_innen für die Rechte junger Mosambikerinnen werden zunehmend behindert und bedroht.

In ihrem ethnografisch ansetzenden Projekt »Raumordnungen einer gespaltenen Gesellschaft: Produktion und Aneignung von Konflikträumen in Mosambik« untersucht Estefania Lopez-Granados die wiederkehrenden Konflikte in ihren räumlichen Dimensionen. Orte sind immer auch mit Zeiten verbunden – häufig mit einer historischen Vergangenheit, wenn etwa Straßen nach sozialistischen Führern und Diktatoren benannt sind, öffentliche Plätze mit Statuen fast vergessener Freiheitskämpfer geschmückt sind, Architekturstile vermehrt von einer kolonialen Geschichte erzählen, die sich weiterhin merkwürdig ungebrochen ihren Raum nimmt. Was aber, wenn diese Vergangenheit einer jungen Generation nicht mehr zur Identifizierung dient? 

In Maputo boomt die Baubranche – doch was baut sich hier auf? Ein neues kapitalistisches Zeitalter? Ein aufstrebender Tourismus-Magnet?

Öffentliche Räume haben das Potential, Kollektive aus Individuen zu mobilisieren – doch wie müssen sie eigentlich beschaffen sein, um als Schnittstellen zwischen der Überwindung einer lähmenden Vergangenheit und dem aktiven Aufbau einer neuen Zukunft fungieren zu können? Plätze in der Stadt, wenn sie als Treffpunkte für Gespräche oder gar Proteste dienen, können zu Symbolen und Aushandlungsorten einer gemeinsam gestalteten Zukunft werden. Häufig entfalten sie ein solches Potential im Zuge einer Interaktion digitaler und physisch-analoger Spielräume, in denen Diskussionen geführt werden und politische Zusammenschlüsse stattfinden. 

Im Mittelpunkt von Estefania Lopez-Granados’ Forschungsprojekt steht der Raum als Ausdruck und Strategie sozialer und politischer Praxis – die Frage, wie innere und äußere Akteure eine gespaltene Raumkonstruktion auch mittels erinnerungskultureller Praxis reproduzieren und wie diese Routinen durchbrochen werden könnten, um Frieden in Mosambik zu befördern – ein Klima, in dem neues Wissen, neue Träume oder gar revolutionäre Gedanken für ein soziales Miteinander entstehen können.

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Der 11. September „9/11“ ist weltweit unvergesslich. In Pakistan kommt ihm eine besondere Bedeutung zu: Hier spricht man vom „Industrial 9/11“ und meint den 11. September 2012. An diesem Tag brannte in Karatschi die Textilfabrik Ali Enterprises ab, deren mutmaßlich wichtigster Auftraggeber der deutsche Discounter KiK war. Beim größten Industrieunfall der pakistanischen Geschichte starben fast 300 Menschen, die meisten verbrannten bei lebendigem Leib. Zwei Monate später brannte die Textilfabrik Tazreen Fashion in Dhaka in Bangladesch. Noch einmal fünf Monate später stürzte die Textilfabrik Rana Plaza ein, ebenfalls in Dhaka. Diesmal starben 1135 Menschen, 2438 wurden verletzt. In den rund 5000 Textilfabriken Dhakas arbeiten ca. vier Millionen Menschen bis zu 14 Stunden am Tag und verdienen im Durchschnitt zwei Dollar täglich. Die meisten sind nach Dhaka gekommen, weil sie auf dem Land keine Überlebensperspektive mehr hatten. Unter solchen Bedingungen eine Anstellung zu finden, heißt für sie schon, „ans Ziel“ gekommen zu sein.

Wir Konsument_innen machen dabei unser Schnäppchen. Beim Import von Textilien besetzt Deutschland weltweit den zweiten Rang hinter den USA. Dieser, imperial zu nennende, Umgang mit Textilien ist nur durch den Zugriff auf die sozialen und ökologischen Ressourcen des Globalen Südens möglich. Gesellschaften, die eine solche Lebensweise praktizieren, nennt man Externalisierungsgesellschaften. Ihre Bürger_innen verlagern die zerstörerischen Folgen ihrer Lebensweise auf Gesellschaften und Ökosysteme andernorts.

In der Folge der Katastrophen bei Ali Enterprises, Tazreen Fashion und Rana Plaza hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Nicht in Bezug auf die Löhne und die Intensität der Plackerei. Nicht in Bezug auf die systematische Missachtung der meist weiblichen Arbeiter_innen. Nicht in Bezug auf die Verletzung von Sozialgesetzgebung und Arbeitsrecht. Asiatische Unternehmer_innen, die bereit wären, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, handeln sich damit nichts als einen Wettbewerbsnachteil in der Konkurrenz um ausländische Aufträge ein.

Auch wenn nach dem Einsturz von Rana Plaza viele Firmen den „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“ unterzeichnete, auf dessen Basis in mehr als 1.600 Fabriken mehr als 97.000 bekannte Gefahren beseitigt wurden, nimmt der Druck auf Unternehmen ab. Dazu trägt der Erfolg des „Rana Plaza Arrangements“ bei, das die Entschädigung der Überlebenden und Hinterbliebenen regelt. Auch wenn Zahlungen für Erwerbsausfälle und ärztliche Behandlungen wichtig sind, laufen derzeit mehrere, durch internationale Organisationen unterstützte, Klagen. Deren politischer Einsatz zielt auf die Notwendigkeit, das System „freiwilliger Selbstverpflichtung“ zugunsten gesetzlicher Regelungen zu beenden, mit denen Unternehmen juristisch zur Verantwortung gezogen werden können.

Auch das 2014 vom deutschen Bundesentwicklungsminister initiierte „Bündnis für nachhaltige Textilien“ verzeichnet zwar Erfolge durch Maßnahmen etwa zur Vermeidung gesundheitsschädlicher Chemikalien oder Durchsetzung existenzsichernder Löhne – es scheut jedoch ebenso vor gesetzlichen Regelungen zurück. Ein „Textilbündnis“ macht aber nur Sinn, wenn es im Horizont der globalen Initiativen für einen „Binding Treaty“ geschlossen wird, mit dem Staaten den unbedingten Vorrang des Menschenrechts auch vor Verpflichtungen von Handels- und Investitionsschutzabkommen anerkennen; mit dem Staaten die bei ihnen ansässigen Unternehmen gesetzlich zur Achtung der Menschenrechte und verpflichten sich dazu aller politisch wie juristisch notwendigen transnationalen Kooperationen bedienen.

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Radikalisierung

Obwohl wir alle nach individuellem Glück streben, orientieren wir uns in diesem Streben an anderen. Demokratische Öffentlichkeit lebt zwar von einer Pluralität der Meinungen, es herrscht jedoch ein Konsens über ihre Grundlage. Umso bedrohlicher werden die Ränder, das Extreme, wenn sie eben jene Grundlage einer Mitte infrage stellen, ihr die Existenz absprechen und extremistisch werden. Dabei fallen diese Extreme nicht vom Himmel, sondern bewegen sich aus unserer Mitte heraus in die Radikalität. Was treibt Menschen an den extremistischen Rand der Gesellschaft? Welche Strategien verführen bis zum äußersten der Gewaltanwendung? Und welche Beziehung lässt sich aus einem Fokus auf die Mitte und dem Abdriften an den Rand herstellen? Propaganda, Mobilisierung und Radikalisierung bis hin zur Gewalt geschehen heute vermehrt im digitalen Raum sozialer Medien, in welchem gesellschaftliche Konflikte aggressiv ausgetragen werden. 

Forschungsprojekte:

Politische wie religiöse Radikalisierung sind zu einem Dauerthema für Medien, Politik und Bevölkerung geworden. Soziale Medien haben sich zu einem Ort teils aggressiver Austragung gesellschaftlicher Konflikte entwickelt und werden auch zur Mobilisierung und Propaganda genutzt. Der Projektverbund PANDORA untersucht gewaltförmige Diskurse in sozialen Medien und deren Effekte auf Radikalisierungsprozesse in extrem rechten und in salafistisch-dschihadistischen Milieus. Dabei fokussiert das Projektteam des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung das salafistische Milieu. Ziel der Analyse von Facebook-Accounts und Telegram-Kanälen ist es, Dynamiken von Online-Radikalisierung nachzuzeichnen. Milieustudien von realen Gruppen in Berlin und Braunschweig identifizieren zusätzlich die sozialen und politischen Kontexte, die Radikalisierung begünstigen oder auch verhindern.

Unter Radikalisierung versteht das Team die zunehmende Infragestellung der Legitimation einer normativen Ordnung und/oder die wachsende Bereitschaft, deren institutionelle Strukturen zu bekämpfen. Dass heute Radikalität, d. h. die Absicht, politische Probleme „an der Wurzel zu packen“, primär mit links- und rechtsextremen Positionen, religiösem Fanatismus und Gewalt in Verbindung gebracht wird, sagt viel über die Krisenwahrnehmung unserer Zeit aus: Liberale Gesellschaften sehen ihre Ordnung vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt und reagieren mitunter mit Abschottung. Sowohl im politischen Diskurs als auch in der Forschung dominiert dabei das Modell einer „Radikalisierung in die Gewalt“, also der zunehmenden Zuspitzung einer Einstellung bis zur Gewalttätigkeit. Doch allzu große Konzentration auf Gewaltbereitschaft als Kennzeichen von Radikalisierung verdeckt zweierlei:

Erstens enden viele Radikalisierungsprozesse nicht in Gewalt, verlaufen nicht linear, sie brechen ab. Dass sich die Einstellungen eines Individuums in einer Lebensphase verschärfen können, bedeutet nicht unbedingt, dass es sich hier um eine biografische „Einbahnstraße“ handelt. Vielmehr sind solche Prozesse wichtiger Teil der Entwicklung von Persönlichkeit, in Abgrenzung und in Annäherung an bestimmte Gruppen und Weltanschauungsmodelle. Der Projektverbund PANDORA versteht daher Radikalisierung als Prozess, der auch eine Umkehrbarkeit in Richtung De-Radikalisierung beinhaltet. 

Zweitens ist ein gewisses Maß an Radikalität in pluralen Demokratien notwendig für Innovation und Veränderung. Der Übergang zu einer problematischen Radikalisierung ist nicht immer leicht zu bestimmen. Eine zu starke Fokussierung auf die Gewaltförmigkeit von Radikalisierung kann zur Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen führen und tendiert dazu, sicherheitspolitische Maßnahmen gegenüber umfassender Prävention zu betonen. Das Projekt geht daher von einem weiten Radikalisierungsbegriff aus. Dieser umfasst Phänomene der „Radikalisierung ohne Gewalt“, die Schnittmengen mit dem politischen Aktivismus teilen.

Eine wichtige Erkenntnis aus dem Forschungsprojekt ist, dass virtuelle und realweltliche Umgebungen in Radikalisierungsprozessen stets miteinander verknüpft sind. Soziale Medien bieten häufig ein Umfeld für erste Kontakte mit radikalisierten Ideologien, eine Plattform für wechselseitigen Austausch in – mit zunehmender Radikalisierung meist geschlossenen – Gruppen, in denen Akteure nicht selten unter Decknamen aktiv sind. Für den weiteren Radikalisierungsprozess aber ist meist die Anbindung an realweltliche radikale Milieus, Gruppen oder Schlüsselpersonen ausschlaggebend. Präventionsmaßnahmen müssen diesem komplexen Zusammenspiel zwischen Online- und Offline-Dynamiken gerecht werden und deshalb eine Vielzahl von Maßnahmen umfassen.

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Handeln in der Krise

Krisen produzieren eine Verengung der Zeitwahrnehmung und fordern uns dazu auf, schnell zu handeln. Aber welche Instrumente haben wir eigentlich, um Krisen mit globalem Ausmaß zu begegnen? Und lassen sich solche Krisen tatsächlich durch diese Werkzeuge lösen, oder verschiebt sich durch deren Einsatz nur die Krise an eine andere Stelle? Anhand unterschiedlicher Beispiele eröffnet die Ausstellung einen Blick auf den Horizont der Handlungsmöglichkeiten. Die wissenschaftliche Untersuchung verschiedener Instrumente internationaler Konfliktlösung provoziert ein genaueres Hinschauen in der Kunst und im Design. Die Dekonstruktion und Rekonfiguration dieser Werkzeuge und Instrumente verspricht, neue Möglichkeiten unseres kollektiven Handelns in der Krise aufzuzeigen, ohne hierbei die Fallstricke dieses Handelns aus den Augen zu verlieren. 

 

Forschungsprojekte:

Wenn die Welt untergeht, die Sturmflut über das Land bricht und der Weltmarkt kollabiert, sollte man vorbereitet sein: Survival Kits und Überlebensratgeber versprechen fachkundige Vorbereitung auf den Ernstfall. Selbstorganisation ist die Losung der Stunde. Während in den Kreisen der sogenannten „Prepper“ mitunter ein politisch eher rechtsorientierter Rückzug auf das einzelne Individuum im „Kampf ums Überleben“ propagiert wird, versteht sich ein zweiter Strang der „Reaktionsbereiten“ angesichts des ökologischen und ökonomischen Ernstfalls ausdrücklich sozial engagiert. Nicht zuletzt die digitalen sozialen Netzwerke erleichtern hierbei oft die Koordination großflächig angelegter Hilfsaktionen. Aus einer kleinen Gruppe zerstreuter Helfer_innen kann so, über Nacht oder in wenigen Stunden, ein überwältigendes Zeichen der Solidarität entstehen.

Während die Katastrophenhilfe im frühen 20. Jahrhundert in staatlicher Verantwortung lag, wird sie heute mehr und mehr zivilgesellschaftlichem Engagement überlassen. Diese Entwicklung hat jedoch nicht nur positive Seiten. Die Bedeutung spontan sich formierender Hilfsaktionen ehrenamtlich tätiger Bürgerinnen und Bürger ist eine ambivalente Errungenschaft. Die Krise stellt uns vor ein Dilemma: Einerseits gibt es immer mehr Bürgerinitiativen, welche sich für die Daseinsvorsorge der Menschen engagieren und den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern können. Sind viele dieser Initiativen zwar erfolgreich, so legitimieren sie jedoch gleichzeitig den Rückzug des Staates aus der sozialen Vorsorge, indem sie beweisen, dass die Menschen auch selbstorganisiert überleben können. Dieses Problem findet sich in diversen gesellschaftlichen Bereichen, in denen Bürgerinitiativen ehemalige Staatsaufgaben übernehmen, von der Organisation gemeinschaftlich verwalteter Kitas in Polen bis hin zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer.

Seit Anfang der 1970er-Jahre werden die industriellen Staaten von immer neuen Schüben der Weltwirtschaftskrise heimgesucht. Als Antwort auf die schnell fallenden Profite in der Schwerindustrie und den Kollaps der Ölpreise entkoppelte Präsident Nixon 1971 den US-Dollar vom Goldstandard und knüpfte ihn an die spekulativen Gewinne des Aktienmarktes. Seitdem leben wir in der Ära des Finanzkapitals, in der krisengebeutelte Staaten regelmäßig große Summen Geld in die Abfederung der Banken investieren. Um ihr Finanzdefizit auszugleichen, schrauben ebendiese Staaten seit den 1970er-Jahren ihre Sozialausgaben erheblich zurück. Wir erleben also die Krise hauptsächlich als eine Welle der Austerität, d. h. einer Verknappung der Staatsausgaben für die menschliche Daseinsvorsorge vom Gesundheitswesen über die Ausbildung bis hin zur Altersvorsorge.

Von einem kreativen Potential der Krise ist daher nur dann zu sprechen, wenn soziale Initiativen nicht nur palliativ arbeiten um die Symptome der Krise zu lindern, sondern effektive Wege finden, um die Ursprünge der Krise – also letztlich den Staat und dessen Umgang mit dem Kapital – nachhaltig anzugreifen und zur Transformation zu zwingen.

Unser Umgang mit dieser Krisendynamik hängt von der aktuellen politischen Situation ab. Seit den 1970er-Jahren erleben wir vor allem das spektakuläre Scheitern neoliberaler Lösungsversuche der Krise. Ob sich in den nächsten Jahren alternative, linke Wege aus der Krise finden lassen, ist dabei offen.

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Die Lösung internationaler Konflikte und Krisen ist eine besondere Herausforderung. In den internationalen Beziehungen fehlt eine zentrale Instanz, die den internationalen Akteuren übergeordnet ist und in einen Konflikt eingreifen kann. Die Akteure müssen gemeinsam Wege finden, Konflikte zu entscheiden, wenn sie Eskalationen, wie z.B. Kriege vermeiden wollen. Bevor die Staaten sich im 20. Jahrhundert darauf einigten, internationale Gerichte einzurichten, nutzen sie so genannte Schiedsgerichte zur Lösung ihrer Konflikte. Vor allem im 19. Jahrhundert wurden Schiedsgerichte für Konflikte zwischen Staaten intensiv genutzt. Die Friedensbewegung sah in den Schiedsgerichten eine Möglichkeit der gewaltfreien Konfliktlösung.

Schiedsgerichte sind auch aus heutiger Sich interessant und werden immer noch genutzt, z. B. 2016 im Konflikt zwischen China und den Philippinen um das Südchinesische Meer. Das Besondere der Schiedsgerichte liegt darin, dass die beiden streitenden Parteien selbst großen Einfluss auf das Verfahren haben. Bevor das Verfahren beginnt, einigen sich die Parteien, wer überhaupt den Konflikt entscheiden und welches Recht dabei zur Anwendung kommen soll – also Dinge, die bei einem Gericht eigentlich schon vorher festgelegt sind. Auch wenn sich die Schiedsverfahren in der Geschichte immer weiter formalisiert haben, und dadurch immer gerichtsähnlicher wurden, handelt es sich noch immer um ein Verfahren mit großer Flexibilität, das aber trotzdem mit einer verbindlichen Entscheidung endet. 

Obwohl das Gericht eine Entscheidung fällt, durch die eine der Konfliktpartei sich am Ende als unterlegen fühlen wird, ist zu erwarten, dass die Akzeptanz für die Entscheidung höher ist, als bei einem normalen Gericht. Der Grund liegt darin, dass das Schiedsgericht durch die Zustimmung beider Streitparteien eingesetzt wurde und beide Parteien das Verfahren mitgestaltet haben. Aus der Perspektive der Forschungen zu gerichtlichen und außergerichtlichen Konfliktlösungen wird daher vermutet, dass diese Beteiligung der Streitparteien nicht nur zu einer Konfliktentscheidung führt, sondern auch zu einer echten Konfliktlösung. Dies ist in der Praxis aber nicht immer der Fall. Der Konflikt zwischen China und den Philippinen zeigt, dass Schiedsgerichtsbarkeit auch dazu führen kann, einen Konflikt weiter zu eskalieren. China hatte hier von Beginn an nicht an dem Verfahren teilgenommen, daher konnte das Schiedsgericht den Konflikt gar nicht einhegen, sondern hat durch die rechtlichen Feststellungen, die es getroffen hat, Chinas Position weiter verhärtet. Historische Forschungen zeigen darüber hinaus, dass Entscheidungen von Schiedsgerichten nicht nur Konflikte erfolgreich beilegten, und damit Kriege abwendeten, sondern in der Durchsetzung mit Gewalt verbunden waren.

Stefan Kroll interessiert sich dafür, inwieweit ein allgemeiner Trend hin zur Informalität in der internationalen Politik auch auf dem Feld der internationalen Justiz beobachtet werden kann oder besondere Potentiale besitzt. Seine Forschungen beziehen sich vornehmlich auf Konflikte zwischen Staaten. Die Schiedsgerichtsbarkeit findet heute aber vor allem auch in Konflikten zwischen Staaten und privaten Akteuren (z. B. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit) oder ausschließlich zwischen privaten Akteuren (z.B. Handelsschiedsgerichtsbarkeit) Anwendung. In der Entstehung des hier ausgestellten Objekts haben sich Jana Bleckmann und Paul Pape auch mit diesen Formen der Schiedsgerichtsbarkeit auseinandergesetzt.

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Die Gruppe der 20 (G20), ist ein Zusammenschluss der – so wird es oft wiedergegeben – 20 „wichtigsten“ Industrie- und Schwellenländer. Bis 2008 handelte es sich um ein Kooperationsformat vor allem für Fragen des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems, im Rahmen dessen sich die jeweiligen Fachminister_innen trafen. Im Zuge der globalen Finanzkrise wurde dieses in ein Forum überführt, in dem sich die Staats- und Regierungschefs der jeweiligen Mitglieder treffen. Dies hatte zur Folge, dass im Rahmen der Gipfel nicht nur über ökonomische Fragen diskutiert wurde, sondern auch über andere Themen wie z. B. Migration, Energie, Arbeit, Ernährungssicherheit, Klima und weitere. 

Obgleich die G20 sich im Rahmen ihrer Rolle während der globalen Finanzkrise als ein Forum zur „Krisenbewältigung“ besonderes bewährt hatten, wurde im Zuge der inhaltlichen Erweiterung auch ihre Rolle als „Global-Governance-Institution“ jenseits der Krisenbewältigung hervorgehoben. Diese Frage nach der eigentlichen Rolle der G20 wurde bis in die jüngere Vergangenheit diskutiert, wird gegenwärtig aber überlagert von der Krise des Multilateralismus insgesamt, die auch die Arbeit und die Zukunft der G20 bestimmt: Konflikte über Fragen des Handelsprotektionismus oder der Klimapolitik wurden zuletzt vor allem auch hier ausgetragen.

Die G20 sind insofern ein besonderes Forum, als es sich nicht um eine internationale Organisation handelt, die auf Grundlage eines Vertrags besteht und deren Beschlüsse rechtlich verpflichtend sind. Die G20 sind in diesem Sinne ein informelles Format, das eine hohe Flexibilität aufweist. Zugleich stellt sich aber auch die Frage der Legitimation eines solchen Forums, das wesentliche internationale Entscheidungen trifft oder begleitet, zugleich aber ein exklusiver „Staatenclub“ ist, dem nicht einfach so beigetreten werden kann. Diese Frage ist umso drängender, weil es insgesamt in der internationalen Politik eine Tendenz hin zu informellen Kooperationsformen gibt und es klärungsbedürftig ist, ob diese eher den schwachen oder den stärken Staaten nützen und inwiefern sie formelle Kooperationen und die regelbasierte Ordnung stützen, ergänzen oder auch unterminieren.

Ausgehend hiervon befasst Stefan Kroll sich in seinen Arbeiten mit der grundsätzlichen Frage, welche Art von Normativität und Bindungswirkung die Beschlüsse der G20 kreieren bzw. wie diese mit rechtlichen Verpflichtungen interagieren. Darüber hinaus untersucht er im Rahmen eines neueren Vorhabens, wie die Kooperation in den G20 dazu beiträgt, Klimaveränderungen als Krise wahrzunehmen – oder eben nicht – und welchen Beitrag dies für die internationale Klimapolitik bedeutet.

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