Planet in der Krise
Seit dem Beginn der industriellen Revolution hat sich die Durchschnittstemperatur der Erde um 1º erhöht. Jeden Tag sterben 3 bis 130 Arten unseres Planeten aus. Jede Stunde wird über 600 Tonnen Müll in die Meere geladen. Die Erde, unser Planet, ist in der Krise. Diese Krise sind wir. Forschende sprechen bereits vom Anthropozän, also dem Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Wenn wir, unsere Art zu Leben und zu Produzieren die Auslöser der Krise unserer Erde sind, können wir dann auch diejenigen sein, die diese Krise auflösen? Diese Krise des Fundaments menschlicher Existenz zwingt uns nicht nur zu einer Handlung, sondern dazu, unser Handeln grundlegend zu korrigieren. Während die Wissenschaft warnt, die Kunst unsere Aufmerksamkeit schärft und Design nur Lösungen vorschlagen kann, sind wir alle es, die Handeln müssen.
In der Krise handeln – Interview mit Volker Mosbrugger, Jacob Schewe, Darrel Moellendorf
FORSCHUNGSPROJEKT
»Dicke Luft zum Atmen«
Honey Alas, Leizel Madueño, Simonas Kecorius, Alfred Wiedensohler
Feinstaubbelastung in Manila
Wir leben in einer von wirtschaftlichen Interessen und festgefahrenen Gewohnheiten geprägten Zeit, in der chemische Produktionsverfahren aus Erdöl und Erdgas unseren Alltag und Konsum bestimmen. Fossile Energieträger, die durch die Millionen von Jahren währende Transformation abgebauter toter Pflanzen und Tiere entstanden sind, finden sich fast überall: Von der Seife bis zum Autolack, vom Waschmittel bis zum Joghurtbecher werden zahlreiche Produkte auf Mineralölbasis hergestellt. Der Erderwärmung entgegenzutreten, bedeutet also, den eigenen Lebensstil bis ins Detail zu hinterfragen – nicht jeder, der kein Auto hat, lebt automatisch „klimaneutral“.
Dennoch steuern die Abgase unserer komfortabel motorisierten Benzinfahrzeuge einen entscheidenden Anteil der Treibhausgasemissionen und unmittelbaren Schadstoffbelastung für unsere Gesundheit bei. In weniger wohlhabenden Volkswirtschaften gibt es kaum Emissionsvorschriften, mitunter werden sogar gebrauchte Dieselmotoren, die noch einer Vor-Euro-4-Norm angehören, im öffentlichen Verkehr eingesetzt. Eine der wichtigsten Quellen der Luftverschmutzung in den sich entwickelnden Megastädten Südostasiens sind etwa dieselbetriebene Pkw und Lkw. Mehr als ein Viertel der z. B. auf den Philippinen zugelassenen Fahrzeuge befindet sich in Metro Manila, wo die Verunreinigung durch schwarzen Kohlenstoff einen besonders negativen Einfluss auf die menschliche Gesundheit nimmt.
Ziel der Forschung am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung ist es, die Dosis der in den Atemwegen abgelagerten Ruß-Partikel bezogen auf den Großraum der Megacity Metro Manila zu bewerten. Im Vergleich zu früheren Studien war die berechnete Ablagerungsdosis der gesamten feuerfesten Partikelzahl in Metro Manila bis zu 17 mal höher als die aus Europa und den USA gemeldeten Werte. Es ist daher zu vermuten, dass die Bevölkerung dieser Megacity mit einer erhöhten Sterblichkeit aufgrund von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen konfrontiert sein könnte, wenn die Emissionen von schwarzem Kohlenstoff unkontrolliert bleiben. Ziel sollte daher sein, über eine Überprüfung der Richtwerte insbesondere in Entwicklungsländern die verkehrsbedingten BC-Emissionen zu reduzieren.
Zudem zeigte die Studie, dass Bewohner_innen wohlhabender Viertel einer viel geringeren Schadstoffkonzentration ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung. Auch der Grad der Luftverschmutzung ist also abhängig von sozialen Unterschieden zwischen verschiedenen Wohngegenden und Arbeitsumgebungen. Neben der Entwicklung emissionsärmerer Fahrzeuge sollte es daher Ziel sein, einzelne Mikroumgebungen, etwa an stark befahrenen Straßen, durch Grünflächen aufzuwerten, um die Luftqualität zu verbessern.
Die Forschung zu und Optimierung von Technologien, etwa im Bereich der Mobilität, ist daher genauso unverzichtbar wie eine selbstkritische Selbstbefragung: Was bedeuten Komfort, Freiheit und Selbstverwirklichung für uns – und wie viel haben diese Vorstellungen mit Konsum, von Raum und Energie, zu tun? Wie wichtig ist Verzicht – und wie bedeutsam die Suche nach Alternativen für einen bewussteren Umgang mit Ressourcen, die nicht unsere eigenen, sondern immer auch die der anderen sind? Gesellschaftliche und ökologische Systeme existieren stets in einem Mit- und Ineinander. Die Lebensqualität einer Gruppe von Menschen, einer Region oder eines Viertels, zu steigern, bedeutet daher immer auch, diese im Wechselverhältnis mit den Lebensweisen und Lebensräumen vieler anderer zu sehen.
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ILLUSTRATIONSPROJEKT
Feinstaub Manila
Eine der wichtigsten Quellen der Luftverschmutzung in den sich entwickelnden Megastädten Südostasiens sind dieselbetriebene Pkw und Lkw. Mehr als ein Viertel der z. B. auf den Philippinen zu-gelassenen Fahrzeuge befindet sich in Metro Manila, wo die Verunreinigung durch schwarzen Kohlenstoff einen besonders negativen Einfluss auf die menschliche Gesundheit nimmt. Lea Berndorfers Wandinstallation erläutert die Zusammenhänge rund um die Luftbelastung in Metro Manila. Einzelne Informationsflächen machen das Wie und Warum jeweils für sich nachvollziehbar, ergeben aber trotzdem eine größere Fläche als Zusammenhang. Plastisch und interaktiv erschließt sich die Problemlage aus ihren ineinanderwirkenden Faktoren.
KUNSTPROJEKT
Filtermaschine
Mit komplexen Filtersystemen messen die Forscher*innen des Leipziger Instituts für Troposphärenforschung die Rußbelastung der Luft – etwa in Metro Manila auf den Philippinen, wo öffentliche Verkehrsmittel mit alten Dieselmotoren das Stadtbild bestimmen. Paul Pape entwickelt eigene Filtermaschinen, mittels derer er die Feinstaubbelastung unserer Luft darstellt. In Gegenüberstellung wissenschaftlicher und künstlerischer Messverfahren stellen sich Fragen nach der Funktionalität und Exaktheit der eingesetzten Geräte sowie nach der Aussagekraft der bildlichen Resultate. Die Kon-textabhängigkeit und Gestaltbarkeit scheinbar objektiver Aufzeichnungsmethoden in unterschiedlichen Disziplinen wird somit reflektierbar.
DESIGNPROJEKT
TukTuk_Now
Das Prinzip Rikscha als ein zukünftiges Mobilitätskonzept
Die Luftbelastung durch Abgase in großen Städten, in Industrienationen genauso wie in Entwicklungsländern, ist eines der drängendsten Probleme unserer Gesellschaft. Alternative Modelle und Technologien zur Verbesserung der Verkehrslage stellen ein wichtiges Feld für die innovative Gestaltung von Lebenswelt dar. Das project-mo.de im LOEWE Schwerpunkt zu Fragen des Mobilitätsdesigns erforscht und entwickelt, unter anderem mit Standort an der HfG Offenbach, Konzepte zur Förderung umweltfreundlichen Mobilitätsverhaltens. So entstanden etwa im Rahmen des interdisziplinär und interkulturell befruchteten »TukTuk_Now«-Seminars Entwürfe für elektromobile Fahrzeuge nach dem Vorbild von Fahrrad-Rikschas, von denen hier eine Auswahl präsentiert wird.
FORSCHUNGSPROJEKT
»Landwirtschaft nach dem Arabischen Frühling«
Osama Ahmed und Linde Götz
Der Weizenpreis in Ägypten
Exportierte Nahrungsmittel sind weltweit so begehrt wie krisenhaft, bedenkt man die Belastung, die sie für unser Ökosystem bedeuten. Tatsächlich benötigt Deutschland knapp das Doppelte der eigenen Landesfläche in anderen, häufig ärmeren Ländern, um seinen Bedarf an Agrarprodukten zu decken. Auch die wachsende Nachfrage an Fleisch oder Bio-Sprit in Industrie- und Schwellenländern verbraucht große Mengen an Getreide, Wasser und Bodenfläche, so dass Lebensmittelpreise in die Höhe schießen.
Besonders hart treffen solche Dynamiken jene Länder, die durch politische Unruhen ohnehin bereits geschwächt und anfällig für wirtschaftliche Einbrüche sind. So wurden im Zuge der Proteste im arabischen Frühling, 2011 und 2013, in Nordafrika und insbesondere Ägypten verstärkt etablierte Wirtschaftsstrukturen und Handelsbeziehungen zerstört. Das zuvor anhaltende Wirtschaftswachstum wurde jäh gestoppt und kehrte sich um. Die Arbeitslosigkeit stieg an auf 12,5%, etwa ein Drittel der Bevölkerung leidet unter akuter Armut.
Um die ägyptische Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zu bringen, wurden umfassende wirtschaftliche Reformen durchgeführt. Dazu zählte die Aufgabe der Wechselkursfixierung, mittels derer der Preis des ägyptischen Pfunds künstlich hochgehalten worden war. Mit dem Übergang zum freien Wechselkurs verlor die ägyptische Währung dramatisch an Wert, was mit einer starken Nahrungsmittelinflation einherging, ist Ägypten doch auf diesem Sektor besonders importabhängig. Teuer wurde vor allem der Weizen bzw. das Brot als Grundnahrungsmittel des Landes. Auch die Preise für Düngemittel und Benzin stiegen immens, was für Bauern zunehmend Probleme bereitet – nicht zuletzt da im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen landwirtschaftliche Subventionen abgeschafft wurden. Hinzu kommen Ernteeinbußen durch Dürren, die in den letzten Jahren in Ägypten zugenommen haben. Die Bodenqualität leidet in Folge übermäßiger Bewässerung und Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel. Viele Landwirte produzieren daher wegen hoher Produktionskosten weniger Weizen. Folglich muss mehr Weizen teuer importiert werden. Viele Haushalte haben darum mittlerweile ihre Nahrungsmittel durch qualitativ niedrigerwertige ersetzt und müssen ohnehin einen Großteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben.
Um dieser Krise entgegenzutreten, sind ökonomische Reformen essentiell. So können etwa ein planvoller Abbau von Subventionen oder die Abwertung der Währung Investitionsanreize schaffen und die Märkte stabilisieren. Zudem gilt es Reformen so durchzuführen, dass diese nicht erneute Umwälzungen in der Region auslösen. Hierbei kommt Nahrungsmittelpreisen eine entscheidende Rolle zu. Um der Preisinflation entgegenzuwirken, muss die Selbstversorgung durch gesteigerte Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion verbessert werden. Dies lässt sich etwa erreichen durch eine Optimierung von Fruchtfolgen, d. h. einen zyklisch wechselnden, aufeinander abgestimmten Anbau verschiedener Nutzpflanzen auf einer Fläche, die Reduzierung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie verbesserte Bewässerungssysteme. Ziel ist es, durch einen auch auf digital gestützte Systeme zurückgreifenden „Präzisionsackerbau“ Erträge zu steigern und Produktionskosten zu senken. Hierzu gehört auch die Verhinderung von Verlusten nach der Ernte durch verbesserte Lagerungsmöglichkeiten.
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ILLUSTRATIONSPROJEKT
Money Food
Essen wird konsumiert. Weil wir alle Nahrung benötigen, sind Lebensmittel ein wichtiges Gut auf dem Weltmarkt. Weizen ist eine Ware unter anderen. Der Illustrator Ollanski konstruiert aus Papier Lebensmittel und angerichtete Speisen, die mit gedruckten Geldscheinimitaten internationaler Währungen beklebt sind. Die Zusammenhänge zwischen der Preisentwicklung von Nahrungsmitteln und sozialen Fragen, den globalen Nähr- und Tauschwerten von Ernährung werden so veranschaulicht. Ebenso werden Speisen dargestellt, die sich neuerlich einer globalen Verbreitung erfreuen, vormals aber in vielen Regionen der Welt nicht anzutreffen waren. Auch das ist Teil eines globalen Lebensmittelmarktes. »Money food« zeigt uns, dass unser Essen auch immer das ist: Geld.
Ollanski
FORSCHUNGSPROJEKT
»Dem Klima trotzen«
Jacob Schewe
Klimamigrationsvorhersagen
Klima bewegt – es sorgt für Turbulenzen in der Tagespolitik, bringt Menschen auf die Straße, lässt Standpunkte aufeinanderprallen und macht uns bewusst, wie rasant wir uns auf eine Zukunft zubewegen, in der vieles nicht mehr so sein wird, wie optimistischer Fortschrittsglaube uns vielleicht noch vor wenigen Jahrzehnten suggerierte. Tatsächlich steht jedoch nicht nur die Zukunft auf dem Spiel. Schon in der Gegenwart müssen wir uns als Gesellschaft und als Spezies damit konfrontieren, dass in zahlreichen Regionen der Erde die Lebensqualität entscheidend unter klimatisch zugespitzten Bedingungen, unter Wasserknappheit und Sturmfluten leidet.
Der Klimawandel, vom dem besonders akut die Bevölkerungen in Subsahara-Afrika, Südasien und Lateinamerika betroffen sind, treibt die Migration, auch innerhalb einzelner Länder, voran. Migration kann dabei eine sinnvolle Anpassung an den Klimawandel sein, sofern sie politisch verantwortungsvoll begleitet wird. Viele städtische und periphere Gebiete müssen sich auf einen Zustrom von Menschen vorbereiten, d. h. für bessere Wohnungs- und Verkehrsinfrastruktur, für Sozialdienste und Beschäftigungsmöglichkeiten sorgen. Genauso aber werden klimabedrohte Gebiete weiter eine große Anzahl von Menschen zu versorgen haben. Dies erhöht den Bedarf an Entwicklungsstrategien zur Unterstützung der Menschen vor Ort.
Um das Zusammenspiel zwischen der Durchsetzung von Emissionsbeschränkungen und Entwicklungsmaßnahmen möglichst realistisch, mit Fokus auf die Tendenz für die Zukunft, darzustellen, skizziert die Forschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das mit der CUNY sowie der Columbia University kooperiert, drei mögliche, „optimistische“ und „pessimistische“ Szenarien für die nächsten 30 Jahre. Diese sollen helfen, sich auf durch den Klimawandel hervorgerufene Migrationsbewegungen vorzubereiten. Die interne Klimamigration wird bis 2050 mutmaßlich weiter zunehmen. Herausforderung für die Politik ist es, Betroffenen einen Entscheidungsspielraum zu schaffen, der ihnen, soweit möglich, eine Wahl lässt, ihr Lebensumfeld zu verlassen oder nicht (sofort). Angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung und dem selbst mit gutem Willen nicht mehr umkehrbaren Klimawandel gilt es, einen Zwang zur Migration zu vermeiden und verstärkt an einem „Plan B“ und „Plan C“ zu arbeiten, der es Menschen ermöglicht, in klimatisch „krisenhaften“ Regionen zu leben, ohne dadurch automatisch in der Existenz bedroht zu sein.
Auch innerhalb Deutschlands fordern verschärfte klimatische Bedingungen die Menschen heraus, sich anzupassen, um ihre Lebensgrundlage zu sichern. Um zu wirken, müssen Strategien im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und der Bewahrung des vom Menschen bewirtschafteten Landes im Dialog mit den Menschen vor Ort entwickelt werden. In Friesland etwa kämpfen Menschen häufig schon jahrhundertelang mit Sturm und Flut und Dürre und haben experimentelle Wege gefunden, um der Herausforderung zu begegnen.
Die Zuspitzung der Bedingungen unter den Vorzeichen des Klimawandels erfordert schnelles und zugleich überlegtes Handeln. Bewusste Landnutzung gegen Monokulturen und versiegelte Oberflächen sowie die Bereitstellung von Infrastruktur gehören dazu. Dennoch ersetzen solche Maßnahmen weder eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen noch die Beschäftigung mit der Frage, wie Menschen in betroffenen Regionen unterstützt werden können und ob bestimmte Gebiete, etwa in Küstenregionen, in Zukunft noch bewohnbar sein werden.
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KUNSTPROJEKT
Urban Colonial Sanctuaries
Die Krise unseres Planeten, für die wir verantwortlich sind, wird uns in ein neues Zeitalter führen: das Zeitalter einer erneut nomadischen Lebensweise. Durch das Ansteigen des Meeresspiegels werden viele globale Zentren der Welt überschwemmt und somit unbewohnbar sein. Versuchen wir uns heute noch von Migration abzuschotten, werden wir in einer Zukunft nach der Klimakrise wahrscheinlich alle Migrantinnen und Migranten sein. »Urban Colonial Sanctuaries« erinnert uns daran, was Gastfreundschaft bedeutet und wie wir friedlich miteinander leben können. In einer nomadischen Zukunft, in der wir uns an eben jene Gastfreundschaft unserer nomadischen Vergangenheit erinnern sollten, werden wir in unserem Leben wieder aufeinander angewiesen sein.
Naomi Kasumi
FORSCHUNGSPROJEKT
»#AnthropoceneChallenge«
Volker Mosbrugger
Erderwärmung
»Das Schiff da fährt auch ohne mich«. Mehr vorfreudig auf die Urlaubsreise als entschuldigend lächelt der zu seinem CO2-Fußabdruck Interviewte in die Kamera. Als Zuschauer vor dem Fernsehgerät lässt man den Blick schweifen – und erkennt endlich, dass der scheinbare Häuserblock im Hintergrund, der kein Stück Himmel und keinen Pixel auf dem Bildschirm frei lässt, das Schiff ist, von dem gerade die Rede war. Kreuzfahrten, Billigflieger, Einkaufszentren – die modernen Pfeiler kapitalistischer Wohlfühlzonen bilden zugleich das Bermudadreieck des sogenannten Anthropozäns: des Erdzeitalters des Menschen, der noch nie zuvor so prägend und bleibend auf seine Umwelt einwirkte wie heute.
Die Freuden unseres Jetzt sind zugleich die Last unserer Zukunft, als Verstärker einer »Umweltkrise des Anthropozäns«, wie sie im Fokus der Forschung Volker Mosbruggers steht. Seit den 1950er-Jahren beobachten wir eine »Great Acceleration«: die »große Beschleunigung« der Aktivität des Menschen führt zum exponentiell steigenden Verbrauch aller Rohstoffe. Als Folge davon geht es der Menschheit insgesamt heute so gut wie nie zuvor, was sich auch im Erreichen zahlreicher der im Jahr 2000 formulierten Millenniums-Entwicklungsziele der UN für 2015 widerspiegelt: Noch nie war die Lebenserwartung so hoch, noch nie hatten so viele Menschen Zugang zu Bildung, noch nie litten so wenige unter extremem Hunger. Doch der immer schneller wachsende Einfluss des Menschen geht auf Kosten des Ökosystems – so dass wir heute ein ganzes Syndrom an Umweltproblemen haben: Verlust von Biodiversität, Vordringen der Wüste, Erosion, Überflutung mit Müll, Störung biogeochemischer Kreisläufe, Rohstoffverknappung, etc. Diese stellen als Geflecht die Herausforderungen des Anthropozäns dar: die sogenannten »Anthropocene Challenges«.
Wie aber kann der Mensch die Welt und sich selbst als deren Bewohner vor der eigenen Spezies schützen? Sind hier mehr gezielte Eingriffe in das Ökosystem nötig, durch Produktinnovationen und Management-Pläne für unser Naturverhältnis? Oder hilft nur noch Verzicht – auf Technik, Konsum und motorisierte Fortbewegung? So wenig es eine eindeutige Antwort geben kann, so sicher ist: Wir übernutzen die Natur. Alle sind betroffen vom Anthropozän, unabhängig von sozialem Hintergrund und Nationalität. Das heißt: Es kommt nicht auf Herrn Schmidt allein an, der im Supermarkt auf Plastiktüten verzichtet und anschließend mit dem Auto achthundert Meter nach Hause und am Tag darauf auf dem Kreuzfahrtdampfer in die Arktis fährt. Das Schiff verlässt den Hafen auch ohne ihn. Der Einzelne vermag nicht viel. Und trotzdem besteht die Menschheit aus Individuen. »Der Mensch« im kollektiven Singular seiner Spezies ist einflussreich – und ohnmächtig zugleich, solange man die abstrakte Vorstellung von der Menschheit nicht füllt mit vielen Individuen – das sind wir –, die sich verhalten und die handeln können.
Schon heute flüchten mehr Menschen vor Umweltkrisen als vor Kriegen. Dennoch werden trotz der wachsenden Erkenntnis von der Verwobenheit verschiedener ökologischer und ökonomischer Systeme Teilkrisen immer noch getrennt voneinander, etwa im Rahmen eines einen Weltklimarates (IPCC) oder Welt-Biodiversitätsrates (IPBES), behandelt. Tatsächlich aber müssen die »Anthropocene Challenges« als Systemproblem angegangen werden.
Die externen Kosten unseres Lebensstils, dessen negative Auswirkungen auf Arten und Ökosysteme, die ohne Rücksicht auf wechselseitige Abhängigkeiten unwillkürlich von uns mit geschädigt werden, gilt es in unser Tun und Denken von Beginn an einzubeziehen bzw. zu internalisieren – d. h. selbst zu übernehmen, statt Konsequenzen auf die Lebensbereiche anderer auszulagern. Auch eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die nicht nur auf Verbrauch ausgerichtet ist, sondern Material recycelt und erneuerbare Energien fördert, bietet Ansätze, um die Regeneration von Ressourcen zu unterstützen.
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GESTALTUNGSPROJEKT
Plastikorallen – Wunderbare Wechselwesen
Auf den ersten Blick wirkt die Installation des künstlichen Korallenriffes bunt und schön, doch zeigt sie sich als farbenfrohe Halde aus alltäglichem Plastikmüll – gesammelt von den Künstlerinnen aus privatem Verbrauch, aus den Wertstofftonnen von Supermärkten und der Hochschule selbst. Seit Jahrtausenden kommt Korallen als den »Blumentieren« eine herausragende kulturelle Bedeutung zu. Unser Konsummüll sowie die CO2-Emission drohen jedoch mittlerweile die Korallen in den Mee-ren zu ersticken. Die Installation stellt die Vielfalt des unverwüstlichen Plastikmülls einer gefährde-ten Vielfalt der Lebensformen im Ozean gegenüber und überlässt es uns, daraus eigene Konsequen-zen zu ziehen.
Xinyu Chen, Chunhua Chen, Tania Felske
FORSCHUNGSPROJEKT
»Fridays For Fairness«
Darrel Moellendorf
Polluter-Pays-Prinzip
Als die damals 15-jährige Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg 2018 zum ersten Mal vor dem schwedischen Parlament ihr Schild mit dem Slogan »Schulstreik für das Klima« hochhielt, folgte ihr eine ganze Generation junger Menschen und streikte, wie sie, jeden Freitag. Aber warum eigentlich ein Schulstreik für das Klima? Ist ein Streik nicht ein klassisches Mittel des Arbeitskampfes um soziale Gerechtigkeit? Die Forderungen der „Fridays for Future“-Bewegung rückten eine zentrale Einsicht ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit: Der Klimawandel bedroht zwar uns alle, nur eben nicht alle gleich. Eine Generation, die noch sorglos die Ressourcen der Erde verschwendet und in deren Vorstellung die Zukunft nur besser werden konnte, wird von den Folgen des Klimawandels nicht mehr viel mitbekommen. Mit diesen Folgen wird aber genau jene Generation zu kämpfen haben, die jetzt durch den Streik Gerechtigkeit für ihre Zukunft auf diesem Planeten fordert.
Dass andere die Rechnung unseres unnachhaltigen Lebens werden zahlen müssen, ist Kern der Forschung des Klimaphilosophen Darrel Moellendorf. Sein normatives Konzept der Klimagerechtigkeit betrachtet die Krise des anthropogenen Klimawandels als ethisches undpolitisches Problem statt lediglich als ökologische oder technisch-lösbare Herausforderung. Generationsgerechtigkeit ist hierbei nur ein Aspekt, der eine neue Komplexität in unseren Begriff sozialer Gerechtigkeit in Bezug auf den Klimawandel einschreibt. So gibt es einen sozialen Ausgleich bisher nur innerhalb einer Verbindung von rechtlichen Institutionen und Politiken: innerhalb von Staaten. Der Klimawandel stellt diese begrenzte Gerechtigkeit in Frage. Der Klimawandel kennt keine nationale Grenzen. Und dennoch werden diese Grenzen bedeutsam: Menschen, die im Ganges-Delta oder in Manhattan leben, teilen dasselbe Risiko, von Überflutungen durch den steigenden Meeresspiegel betroffen zu werden. Was sie jedoch nicht teilen, ist die Verwundbarkeit durch die verursachten Schäden. Das Ganges-Delta ist durch einen hohen Armutsgrad bestimmt, Infrastrukturen, um Katastrophen entgegenzutreten, sind schwach ausgeprägt und kaum geschützt. Obwohl also der Klimawandel alle betrifft, trifft er die Schwächsten doch am härtesten.
Wenn Bürgerinnen der USA ihre Klimaanlage einschalten oder wenn Europäer Autos fahren, die durch fossile Brennstoffe betrieben werden, dann haben diese Handlungen – unsere Handlungen – Konsequenzen. Konsequenzen, die uns im globalen Maßstab mit ländlichen Dorfgemeinden in Bangladesch, mit Bauern in Äthiopien und Slumbewohnern in Haiti verbinden. Daraus folgt eine komplizierte Verantwortung. Offensichtlich ist die Frage, wer für die Kosten des Klimawandels aufkommen wird – inklusive der Kosten, sich an diesen anzupassen – eine Frage globaler Gerechtigkeit. So geht Moellendorf von der Annahme aus, dass die Erdatmosphäre – inklusive ihrer Fähigkeit, CO2 zu absorbieren – ein Gemeingut ist, für das die Menschheit eine besondere Verantwortung trägt.
Aber wer ist eigentlich verantwortlich? Das CO2 in der heutigen Atmosphäre wurde von unseren Großeltern ausgestoßen. „Wer’s verschmutzt, muss auch bezahlen“ – so lautet das „polluter-pays“-Prinzip. Nur wussten die Menschen es damals nicht besser. Und wer sollte überhaupt proportional zur Verschmutzung vorheriger Generationen zahlen? Der Staat, der dies ermöglichte, oder die Einzelnen, die auch heute noch davon profitieren? Darüber hinaus sind Entwicklungsländer auf eine Erhöhung ihrer Treibhausgasemission angewiesen, um sich wirtschaftlich entwickeln zu können. Das „ability-to-pay“-Prinzip schlägt daher einen anderen Weg vor. So sollten diejenigen Staaten finanziell einspringen, die es sich leisten können, die Schwächeren zu unterstützen. Aber wer organisiert und bestimmt diese Verantwortung und in welchem Umfang? Beide Prinzipien haben Stärken und Schwächen, welche die Fragen der Klimagerechtigkeit verkomplizieren.
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