
Handeln in der Krise
Krisen produzieren eine Verengung der Zeitwahrnehmung und fordern uns dazu auf, schnell zu handeln. Aber welche Instrumente haben wir eigentlich, um Krisen mit globalem Ausmaß zu begegnen? Und lassen sich solche Krisen tatsächlich durch diese Werkzeuge lösen, oder verschiebt sich durch deren Einsatz nur die Krise an eine andere Stelle? Anhand unterschiedlicher Beispiele eröffnet die Ausstellung einen Blick auf den Horizont der Handlungsmöglichkeiten. Die wissenschaftliche Untersuchung verschiedener Instrumente internationaler Konfliktlösung provoziert ein genaueres Hinschauen in der Kunst und im Design. Die Dekonstruktion und Rekonfiguration dieser Werkzeuge und Instrumente verspricht, neue Möglichkeiten unseres kollektiven Handelns in der Krise aufzuzeigen, ohne hierbei die Fallstricke dieses Handelns aus den Augen zu verlieren.
Krisen lösen – Interview mit Nicole Deitelhoff und Peer Illner
FORSCHUNGSPROJEKT
»Es geht ums Überleben«
Peer Illner
US-Amerikanischer Etat für Katastrophenhilfe

Wenn die Welt untergeht, die Sturmflut über das Land bricht und der Weltmarkt kollabiert, sollte man vorbereitet sein: Survival Kits und Überlebensratgeber versprechen fachkundige Vorbereitung auf den Ernstfall. Selbstorganisation ist die Losung der Stunde. Während in den Kreisen der sogenannten „Prepper“ mitunter ein politisch eher rechtsorientierter Rückzug auf das einzelne Individuum im „Kampf ums Überleben“ propagiert wird, versteht sich ein zweiter Strang der „Reaktionsbereiten“ angesichts des ökologischen und ökonomischen Ernstfalls ausdrücklich sozial engagiert. Nicht zuletzt die digitalen sozialen Netzwerke erleichtern hierbei oft die Koordination großflächig angelegter Hilfsaktionen. Aus einer kleinen Gruppe zerstreuter Helfer_innen kann so, über Nacht oder in wenigen Stunden, ein überwältigendes Zeichen der Solidarität entstehen.
Während die Katastrophenhilfe im frühen 20. Jahrhundert in staatlicher Verantwortung lag, wird sie heute mehr und mehr zivilgesellschaftlichem Engagement überlassen. Diese Entwicklung hat jedoch nicht nur positive Seiten. Die Bedeutung spontan sich formierender Hilfsaktionen ehrenamtlich tätiger Bürgerinnen und Bürger ist eine ambivalente Errungenschaft. Die Krise stellt uns vor ein Dilemma: Einerseits gibt es immer mehr Bürgerinitiativen, welche sich für die Daseinsvorsorge der Menschen engagieren und den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern können. Sind viele dieser Initiativen zwar erfolgreich, so legitimieren sie jedoch gleichzeitig den Rückzug des Staates aus der sozialen Vorsorge, indem sie beweisen, dass die Menschen auch selbstorganisiert überleben können. Dieses Problem findet sich in diversen gesellschaftlichen Bereichen, in denen Bürgerinitiativen ehemalige Staatsaufgaben übernehmen, von der Organisation gemeinschaftlich verwalteter Kitas in Polen bis hin zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer.
Seit Anfang der 1970er-Jahre werden die industriellen Staaten von immer neuen Schüben der Weltwirtschaftskrise heimgesucht. Als Antwort auf die schnell fallenden Profite in der Schwerindustrie und den Kollaps der Ölpreise entkoppelte Präsident Nixon 1971 den US-Dollar vom Goldstandard und knüpfte ihn an die spekulativen Gewinne des Aktienmarktes. Seitdem leben wir in der Ära des Finanzkapitals, in der krisengebeutelte Staaten regelmäßig große Summen Geld in die Abfederung der Banken investieren. Um ihr Finanzdefizit auszugleichen, schrauben ebendiese Staaten seit den 1970er-Jahren ihre Sozialausgaben erheblich zurück. Wir erleben also die Krise hauptsächlich als eine Welle der Austerität, d. h. einer Verknappung der Staatsausgaben für die menschliche Daseinsvorsorge vom Gesundheitswesen über die Ausbildung bis hin zur Altersvorsorge.
Von einem kreativen Potential der Krise ist daher nur dann zu sprechen, wenn soziale Initiativen nicht nur palliativ arbeiten um die Symptome der Krise zu lindern, sondern effektive Wege finden, um die Ursprünge der Krise – also letztlich den Staat und dessen Umgang mit dem Kapital – nachhaltig anzugreifen und zur Transformation zu zwingen.
Unser Umgang mit dieser Krisendynamik hängt von der aktuellen politischen Situation ab. Seit den 1970er-Jahren erleben wir vor allem das spektakuläre Scheitern neoliberaler Lösungsversuche der Krise. Ob sich in den nächsten Jahren alternative, linke Wege aus der Krise finden lassen, ist dabei offen.
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DESIGNPROJEKT
Choose Wisely
Während die Katastrophenhilfe im frühen 20. Jahrhundert in staatlicher Verantwortung lag, wird sie heute mehr und mehr zivilgesellschaftlichem Engagement überlassen. Die sich spontan formierenden Hilfsaktionen ehrenamtlich tätiger Bürgerinnen und Bürger wirkt zwar gezielter als geplante staatliche Hilfen, so die Argumentation, entlässt den Staat aber eigentlich nicht aus seiner Verantwortung. In diesem Spiel kann man selber entscheiden, welche Seite man wählt: Die Sparpolitik oder den Ausbau staatlicher Sozialhilfen. Am Ende muss man mit den getroffenen Entscheidungen leben.
FORSCHUNGSPROJEKT
»Wenn zwei sich streiten, holen sie sich einen Dritten«
Stefan Kroll
3 Arten der juristischen Konfliktlösung

Die Lösung internationaler Konflikte und Krisen ist eine besondere Herausforderung. In den internationalen Beziehungen fehlt eine zentrale Instanz, die den internationalen Akteuren übergeordnet ist und in einen Konflikt eingreifen kann. Die Akteure müssen gemeinsam Wege finden, Konflikte zu entscheiden, wenn sie Eskalationen, wie z.B. Kriege vermeiden wollen. Bevor die Staaten sich im 20. Jahrhundert darauf einigten, internationale Gerichte einzurichten, nutzen sie so genannte Schiedsgerichte zur Lösung ihrer Konflikte. Vor allem im 19. Jahrhundert wurden Schiedsgerichte für Konflikte zwischen Staaten intensiv genutzt. Die Friedensbewegung sah in den Schiedsgerichten eine Möglichkeit der gewaltfreien Konfliktlösung.
Schiedsgerichte sind auch aus heutiger Sich interessant und werden immer noch genutzt, z. B. 2016 im Konflikt zwischen China und den Philippinen um das Südchinesische Meer. Das Besondere der Schiedsgerichte liegt darin, dass die beiden streitenden Parteien selbst großen Einfluss auf das Verfahren haben. Bevor das Verfahren beginnt, einigen sich die Parteien, wer überhaupt den Konflikt entscheiden und welches Recht dabei zur Anwendung kommen soll – also Dinge, die bei einem Gericht eigentlich schon vorher festgelegt sind. Auch wenn sich die Schiedsverfahren in der Geschichte immer weiter formalisiert haben, und dadurch immer gerichtsähnlicher wurden, handelt es sich noch immer um ein Verfahren mit großer Flexibilität, das aber trotzdem mit einer verbindlichen Entscheidung endet.
Obwohl das Gericht eine Entscheidung fällt, durch die eine der Konfliktpartei sich am Ende als unterlegen fühlen wird, ist zu erwarten, dass die Akzeptanz für die Entscheidung höher ist, als bei einem normalen Gericht. Der Grund liegt darin, dass das Schiedsgericht durch die Zustimmung beider Streitparteien eingesetzt wurde und beide Parteien das Verfahren mitgestaltet haben. Aus der Perspektive der Forschungen zu gerichtlichen und außergerichtlichen Konfliktlösungen wird daher vermutet, dass diese Beteiligung der Streitparteien nicht nur zu einer Konfliktentscheidung führt, sondern auch zu einer echten Konfliktlösung. Dies ist in der Praxis aber nicht immer der Fall. Der Konflikt zwischen China und den Philippinen zeigt, dass Schiedsgerichtsbarkeit auch dazu führen kann, einen Konflikt weiter zu eskalieren. China hatte hier von Beginn an nicht an dem Verfahren teilgenommen, daher konnte das Schiedsgericht den Konflikt gar nicht einhegen, sondern hat durch die rechtlichen Feststellungen, die es getroffen hat, Chinas Position weiter verhärtet. Historische Forschungen zeigen darüber hinaus, dass Entscheidungen von Schiedsgerichten nicht nur Konflikte erfolgreich beilegten, und damit Kriege abwendeten, sondern in der Durchsetzung mit Gewalt verbunden waren.
Stefan Kroll interessiert sich dafür, inwieweit ein allgemeiner Trend hin zur Informalität in der internationalen Politik auch auf dem Feld der internationalen Justiz beobachtet werden kann oder besondere Potentiale besitzt. Seine Forschungen beziehen sich vornehmlich auf Konflikte zwischen Staaten. Die Schiedsgerichtsbarkeit findet heute aber vor allem auch in Konflikten zwischen Staaten und privaten Akteuren (z. B. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit) oder ausschließlich zwischen privaten Akteuren (z.B. Handelsschiedsgerichtsbarkeit) Anwendung. In der Entstehung des hier ausgestellten Objekts haben sich Jana Bleckmann und Paul Pape auch mit diesen Formen der Schiedsgerichtsbarkeit auseinandergesetzt.
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KUNSTPROJEKT
Schiedsgerichte
Am Verhandlungstisch kommen Parteien auf Augenhöhe zusammen – so zumindest das Konzept der Schiedsgerichtsbarkeit im Ideal. Schiedsgerichte können bei Konflikten zwischen zwei Staaten, aber auch zwischen einem Staat und einem Unternehmen oder zwei Unternehmen eingesetzt wer-den. Wichtiges Merkmal der Schiedsgerichtsbarkeit ist die Freiheit der Parteien, weitgehend über Verfahrensregeln, die Art des angewandten Rechts und die eingesetzten Schiedsrichter zu entschei-den. Das Modell illustriert verschiedene Konstellationen anhand konkreter Fälle. Dabei wurden die benutzbaren Möbel hinsichtlich ihrer (Un-)Bequemlichkeit manipuliert, die verdeutlicht, mit welchen Komplikationen und Machtgefällen zwischen Konfliktparteien Verfahren mitunter zu kämpfen haben.
Jana Bleckmann, Paul Pape
HfG Offenbach
FORSCHUNGSPROJEKT
»Staatenclub oder Diskussionsforum?«
Stefan Kroll
Anteil der G20 an der Weltbevölkerung und am globalen BIP

Die Gruppe der 20 (G20), ist ein Zusammenschluss der – so wird es oft wiedergegeben – 20 „wichtigsten“ Industrie- und Schwellenländer. Bis 2008 handelte es sich um ein Kooperationsformat vor allem für Fragen des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems, im Rahmen dessen sich die jeweiligen Fachminister_innen trafen. Im Zuge der globalen Finanzkrise wurde dieses in ein Forum überführt, in dem sich die Staats- und Regierungschefs der jeweiligen Mitglieder treffen. Dies hatte zur Folge, dass im Rahmen der Gipfel nicht nur über ökonomische Fragen diskutiert wurde, sondern auch über andere Themen wie z. B. Migration, Energie, Arbeit, Ernährungssicherheit, Klima und weitere.
Obgleich die G20 sich im Rahmen ihrer Rolle während der globalen Finanzkrise als ein Forum zur „Krisenbewältigung“ besonderes bewährt hatten, wurde im Zuge der inhaltlichen Erweiterung auch ihre Rolle als „Global-Governance-Institution“ jenseits der Krisenbewältigung hervorgehoben. Diese Frage nach der eigentlichen Rolle der G20 wurde bis in die jüngere Vergangenheit diskutiert, wird gegenwärtig aber überlagert von der Krise des Multilateralismus insgesamt, die auch die Arbeit und die Zukunft der G20 bestimmt: Konflikte über Fragen des Handelsprotektionismus oder der Klimapolitik wurden zuletzt vor allem auch hier ausgetragen.
Die G20 sind insofern ein besonderes Forum, als es sich nicht um eine internationale Organisation handelt, die auf Grundlage eines Vertrags besteht und deren Beschlüsse rechtlich verpflichtend sind. Die G20 sind in diesem Sinne ein informelles Format, das eine hohe Flexibilität aufweist. Zugleich stellt sich aber auch die Frage der Legitimation eines solchen Forums, das wesentliche internationale Entscheidungen trifft oder begleitet, zugleich aber ein exklusiver „Staatenclub“ ist, dem nicht einfach so beigetreten werden kann. Diese Frage ist umso drängender, weil es insgesamt in der internationalen Politik eine Tendenz hin zu informellen Kooperationsformen gibt und es klärungsbedürftig ist, ob diese eher den schwachen oder den stärken Staaten nützen und inwiefern sie formelle Kooperationen und die regelbasierte Ordnung stützen, ergänzen oder auch unterminieren.
Ausgehend hiervon befasst Stefan Kroll sich in seinen Arbeiten mit der grundsätzlichen Frage, welche Art von Normativität und Bindungswirkung die Beschlüsse der G20 kreieren bzw. wie diese mit rechtlichen Verpflichtungen interagieren. Darüber hinaus untersucht er im Rahmen eines neueren Vorhabens, wie die Kooperation in den G20 dazu beiträgt, Klimaveränderungen als Krise wahrzunehmen – oder eben nicht – und welchen Beitrag dies für die internationale Klimapolitik bedeutet.
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KUNSTPROJEKT
Pappkameraden und Fußabtreter
Eine Spaltung zwischen der Herrschaft und den Beherrschten gehört zum Wesen parlamentarischer Demokratie. Ohne Repräsentation gibt es keine Demokratie. Aber wer repräsentiert hier eigentlich wen? Wer sind die Entscheidungsfinder, die Leistungsträgerinnen und die Mächtigen? Und wer nicht? Die Arbeit blickt hinter die Fassade der G20, des Treffens der Staats- und Regierungschefs der 19 wirtschaftsstärksten Länder der Welt und der EU, die über 85% des weltweiten Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften. Was steckt hinter dem strahlenden Lächeln derjenigen, die für sich beanspruchen, die Welt zu lenken? Und wer lacht am Ende eigentlich noch, wenn Trump sich quer stellt? Such dir doch deinen Repräsentanten aus und mach ein Selfie mit ihr oder ihm.