Design im Krisenmodus

12.01.2019

Immer wieder wird an das kreative Potential von Design in Zeiten der Krise erinnert. Designerinnen und Designer sind Weltverbesserer, ausgestattet mit einem unbeugsamen Optimismus und dem Glauben an eine bessere, noch zu gestaltende Zukunft. Die Krise und das Design sind das perfekte Paar unserer Gegenwart. Aber ist dem wirklich so?

Die Krise ist überall. Alles ist Design. Eine Krise erzeugt Handlungsdruck. Im Design hängt alles von Entscheidungen ab. Es gibt niemals nur die eine Krise, alle Krisen hängen auf komplexe Art miteinander zusammen. Die vornehmste Aufgabe des Designs ist die Komplexitätsreduktion. Die Krise verlangt nach einer Lösung. Design gestaltet Lösungen, welche die Probleme bewältigen sollen. Die Krise konzentriert alles auf die Gegenwart. Design richtet uns auf die Zukunft aus.

Liest man diese kurze Gegenüberstellung, könnte man fast meinen, die Krise und das Design seien wie füreinander gemacht. Die Krise ist das Problem. Design ist die Lösung. Fertig ist der Lack. Doch schweift unser Blick über unsere Welt, so scheint doch gerade das Design einer Überflussgesellschaft – also wir selbst – für die meisten globalen Probleme verantwortlich zu sein, die manch einer optimistisch noch als Krise bezeichnet. Unser Klima, unsere Meere, Konflikte, soziale Ungerechtigkeit und die aus ihr folgende gesellschaftliche Radikalisierung, die von Migration ausgelösten Krisen oder die immer noch bestehende Ernährungskrise des weltweiten Hungers: Unsere Welt befindet sich 2019 in einem verbesserungswürdigen Zustand und das Design scheint diesmal ausnahmsweise nicht das geeignete Mittel zu sein, diese allumfassende Optimierungsarbeit zu leisten, auch wenn es sich gerne dazu aufschwingt. Die Beziehung von Design und Krise sollen in diesem kurzen Beitrag genauer betrachtet werden. Dabei stellt sich am Anfang direkt die Frage: Stoßen wir bei der Unlösbarkeit der Krise bereits auf eine Krise des Designs selbst?

Nun, das kommt ganz darauf an, von welchem Designverständnis ausgegangen wird. Wenn wir mit dem unbeugsamen Optimismus an die Sache herangehen, der sich an manchen Stellen tatsächlich schon mit Größenwahn berührt, könnte man meinen, unser Verständnis einer omnipotenten totalen Gestaltung käme von derselben Hochschule für Gestaltung, die in diesem Jahr ihr 100. Jubiläum feiern würde. Und sicherlich ist das mehr noch berühmt als berüchtigte Bauhaus nur eine der vielen Institutionen, die diesen Geist der modernen Avantgarde in die Gestaltung der Lebenswelt hinein trugen – zu nennen wären hier noch DeStijl aus den Niederlanden, die großen Einfluss auf das Bauhaus hatten, oder aber auch einen pragmatischerer Ansatz allumfassenden Designs im Neuen Frankfurt – sozusagen die Avantgarde des Alltags. Von ihnen haben wir das Verständnis von Design als Problemlösung geerbt. Und dieses Erbe wirkt bis heute nach. Design will die Welt in all ihren Facetten verbessern und dies auf möglichst praktische Art und Weise. Was daran falsch ist? Nun offensichtlich wollte sich die Welt nicht einfach so verbessern lassen, wie die modernen Gestalter und Gestalterinnen sich das vorgestellt hatten. Höher, Schneller, Weiter! Industrie, Massenproduktion und Konsum für alle! Was Gert Selle noch einen »demokratischen Funktionalismus« nannte (Selle 2007), zeitigt heute seine negativen Folgen. Man könnte sich zu der gar nicht so steilen These hinreißen lassen, dass die Krisen und Probleme, mit denen wir es heute zu tun haben, die Krisen und Probleme sind, die unsere Vorfahren vor 100 Jahren glaubten, gelöst zu haben. Die vom Leibniz-Forschungsverbund angesprochene Globalisierung ist nämlich auch ein Kind des durch die Moderne angestoßenen technischen Fortschritts und der internationalen Vernetzung.

Offensichtlich konnte die Moderne also nicht halten, was sie versprach. Obwohl im globalen Norden mittlerweile tatsächlich die Grundversorgung für annähernd alle Menschen gewährleistet werden kann und man darüber hinaus auch noch die Möglichkeit hat, sich kreativ selbst zu entfalten – eine Möglichkeit, die bereits in einen Zwang zur Kreativität kippt (Reckwitz 2012) –, so sind die Probleme von Hunger, Ressourcenknappheit, Konflikten, die gerade aus dieser Knappheit heraus entstehen, sowie die Verschmutzung der Luft und Weltmeere nicht verschwunden. Tatsächlich haben sie sich sogar noch intensiviert. Auch die Schere zwischen Arm und Reich, die so oft der Anstoß für soziale Transformationsprozesse der Gesellschaft war, scheint sich auf ein akzeptables Maß minimiert zu haben. Doch in Wahrheit hat sie sich nur globalisiert und ist damit für uns Wohlstandsweltenbürger als Krise unsichtbar geworden. Unser Design ist nicht ganz unschuldig daran. Es ist schon eine List der Vernunft, dass die Effizienz industrieller Produktionsprozesse durch die funktionalistische Gestaltung derart gesteigert werden konnte, dass sie im Zuge der Überproduktion nun für vorhersehbaren Verschleiß in den Produkten sorgen musste, um weiterhin effizient und wirtschaftlich produzieren zu können. Geplante Obsoleszenz nennt sich dieses Phänomen, das uns von Glühbirnen und Strumpfhosen bekannt ist, und für tonnenweise neuen Müll sorgt; gleichzeitig aber auch für neue Jobs – zum Beispiel in der Designbranche. Darüber hinaus musste der Kreislauf von Produktion und Konsumtion in Gang gehalten werden, so dass die neue Aufgabe für viele Designer während der Wirtschaftswunderjahre in Deutschland war, sich hübsche neue Oberflächen und glänzende Verpackungen, »Make-Up für Maschinen« (Sloterdijk 2010), auszudenken, um alte Technik in neuem Glanz zu verkaufen. So haben sie ihren ganz eigenen Teil zu den heutigen Krisen beigetragen.

Kein Wunder also, dass man anstelle eines Siegeszugs des funktionalen Designs von einer waschechten »Krise des Funktionalismus« (Moles 1968) im Zuge der Moderne sprechen musste. Dabei hatte der Funktionalismus, wie bereits beschrieben, sich selber ausgetrickst. Doch nicht nur die Produktion konnte den Idealen des problemlösungsorientierten Designs nicht mehr treu bleiben, wenn sie weiterhin effizient arbeiten wollte. Auch die Bevölkerung, die ja eigentlich durch die asketischen Formen der modernen Gestaltung zum Neuen Menschen erzogen werden sollte, hatte die ständige Enthaltsamkeit satt. Am Ende war der problemlösende Funktionalismus selber zu einem Stil unter vielen verkommen, der dem Kitsch der Kaufhäuser ästhetisch nichts mehr entgegensetzen konnte. Hatten die modernen Gestalter vielleicht zu viel vom Design verlangt? Wenn Design doch einfach nur die Natur der Dinge ergründete, aus diesen kausal eine Form ableitete und somit alle Probleme elegant löste, warum funktionierte das dann nicht mehr?

»Zu verstehen, was das Problem ist, ist das Problem.« – So der ungewöhnliche Vorschlag des Designtheoretikers Horst Rittel (Rittel 2012). Dabei ist nicht nur der Vorschlag ungewöhnlich, den Rittel für eine Korrektur des klassischen Funktionalismus, der ja immer die scheinbar offensichtlichen Probleme durch die strikte Befolgung der Funktion lösen wollte, macht. Auch der Zeitpunkt ist durchaus bemerkenswert. Während die Designwelt sich ab der Mitte der Siebzigerjahre in die Postmoderne verabschiedete, versuchte der Mathematiker und Plangungstheoretiker Rittel weiterhin, die Problemlösung als zentrale Aufgabe des Designs zu bestimmen. Dies aber auf eine interessantere Art, als es die klassische Moderne vor ihm getan hatte. Neben seiner notorischen Ausweitung des Designbegriffes auf praktisch alle kreativen Tätigkeiten ist Rittel vor allem für den Begriff bekannt, den er gemeinsam mit Melvyn Webber prägte: Die »wicked problems« (Rittel und Webber 1973). Im Gegensatz zu den »tame problems« einer rein deskriptiv verstandenen Naturwissenschaft, haben es die Sozialwissenschaften – und mit ihnen die Planung und das Design – immer mit diesen verzwickten Problemen zu tun, die nach Rittels Definition niemals abschließend bestimmt werden können, die niemals aufhören, sich weiterzuentwickeln, die meistens Symptome eines tieferliegenden Problems sind, und deren Lösungen nicht in den Kategorien von »richtig« oder »falsch« funktionieren kann. Diese »wicked problems« sind das eigentliche Aufgabenfeld der Designer und bestimmen auch deren Art und Weise zu denken. Denn wenn man bereits erkannt hat, dass man es im Design mit einem »wicked problem« zu tun hat und die vor einem liegende Herausforderung als solches definiert, dann hat man eigentlich immer schon die Lösung durch diese Definition gefunden. Die Definition als Problem impliziert in der Denkweise von Designern schon, dass es eine mögliche Lösung dafür geben muss. Gäbe es keine Lösung, hätte man es nach Rittel nicht mit einem Problem, sondern mit unumgänglichen Rahmenbedingungen zu tun. Das ‚Problem’ der Schwerkraft lässt sich durch kein noch so gutes Design jemals wirklich lösen.

In diesem neuen Verständnis von Design als kompliziertere Problemlösungstätigkeit definiert Rittel noch zwei Arten von Fehlern, die Designern normalerweise unterlaufen. Ein Fehler des Typ-1 ist der klassische (und langweilige) Fehler, dass etwas einfach nicht funktioniert. Dies war der einzige Typ von Fehlern, auf die sich die klassische Moderne nach Rittel konzentrierte. Viel interessanter und wichtiger für das Design ist aber die Einsicht in Fehler des Typ-2. Diese Fehler treten auf, wenn sich durch die Gestaltung nicht intendierte Folgen ergeben, die der Designer in seinem Entwurfs- und Planungsprozess nicht vorhersehen konnte. Dies sind dann die Krisen, die regelmäßig durch Design ausgelöst werden und die einen erweiterten Designprozess ständig in Gang halten. Weil Fehler des Typ-2 unvermeidbar sind, kann Design auch nie zu einem perfekten Ende kommen. So kann Design nach Rittel nicht mehr nur eine funktionale Arbeit an der Reduktion von Komplexität sein. Design ist immer das aushalten eben jener Komplexität und das Arbeiten an verzwickten und niemals ganz lösbaren Problemen.

Die Moderne wollte alle unsere Probleme lösen. Genau bei dieser Lösung hat sie aber noch viel mehr Probleme erzeugt, die sie selber nicht vorhersehen konnte. Doch selbst Rittels »wicked problems« implizieren immer noch, dass es eine Lösung für diese Probleme geben könnte – so verschlungen sie auch sein mag. Und Design sieht sich auch heute noch allzu gerne als diese Lösung selbst der komplexesten Probleme an. Doch bisher haben Planung und Gestaltung alles scheinbar nur noch schlimmer gemacht. So ist bereits die Rede von super-wicked problems, um die neue Eskalationsstufe der Krisen besser beschreiben zu können. Egal wie sehr wir es versuchen, die Probleme lassen sich einfach nicht rein rational, also modern, lösen. In diesem Sinne stellt der Philosoph Bruno Latour fest: »Wir sind nie modern gewesen.« (Latour 2008)

Um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Wie findet das Design jetzt aus der Sinnkrise heraus, wenn es offensichtlich keine Probleme lösen kann? Was bleibt für das Design zu tun übrig? Zuallererst wäre da die Einsicht, dass Design eigentlich nie eine Problemlösungstätigkeit war. Keine Krise wurde jemals durch Design gelöst und in dieser Hinsicht passen die beiden tatsächlich überhaupt nicht zusammen. Doch gesteht man dem Begriff des Designs eine gewisse Flexibilität zu und ist zudem gewillt, diese ein bisschen zu überdehnen, finden sich ganz andere Analogien zwischen der Krise und einem Design, das eigentlich immer im Krisenmodus operiert und die Krise viel weniger löst, als vielmehr auf ungewöhnliche Art und Weise sichtbar macht.

Zum Design im Krisenmodus macht der Philosoph Daniel Martin Feige in seiner Analyse des Designs den Vorschlag, dass »Gestalten und Entwerfen … Formen des Handelns [sind], in denen Momente dessen, was es überhaupt heißt, zu handeln, explizit werden.« (Feige 2018) Das Handeln dieser Tätigkeiten wird hier derart verstanden, dass sich »erst in und durch den Vollzug klärt, was der Sinn der Gestaltung und des Entwurfs gewesen sein wird«. Es kann also niemals vor dem Designprozess schon ganz feststehen, was am Ende als fertiges Produkt dabei herauskommen wird. Design so verstanden ist immer »eine eine je singulär geleistete Neuaushandlung auch der Zwecke, wozu diese Gegenstände da sind«. Feige spricht bei den Funktionen, die vom Design gestaltet werden müssen, von auf irreduzible Art konstitutiv in Form verkörperten Funktionen. Funktionen, die ihren Sinn damit abschließend erst durch die Form erhalten, die ihnen im Prozess der Formgebung gegeben wird. Und wie wir dies weiter oben bereits definiert haben, sind Funktionen nichts anderes als Vorschläge zur Lösung eines Problems. So verstanden jedoch, werden Probleme durch Design niemals einfach nur gelöst, sondern Designgegenstände »bestimmen die Probleme im Lichte ihrer Lösungen vielmehr zugleich neu«. Nicht nur wächst die Designpraxis mit ihren Aufgaben, auch diese Aufgaben in Form von jetzt »hyper-wicked problems« verändern sich mit der Gestaltung. Doch diese Definition des Designs birgt das Potential einer ganz anderen Möglichkeit der Aushandlung von Problemen: Design im Krisenmodus ist eine produktives sich zu eigen machen von Problemen, eine Problemaneignung und durch den Prozess der Formgebung eine Problemverkörperung, ein Werden des Sinns von Problemen.

So verstanden, ergibt sich aus dem Design im Krisenmodus auch ein ganz anderes Verständnis davon, wie Design die Krise sichtbar macht und schließlich auch zu ihrer Bewältigung beitragen kann. In einem radikal erweiterten Designprozess, der das Gelingen guten Designs von der Aneignung durch die Benutzer und Benutzerinnen abhängig macht, sind die nicht intendierten Folgen als Fehler des Typ-2 nicht mehr Schwächen des Designs, sondern gerade Teil dieses radikal erweiterten Designprozesses. Erst in dem, was mit dem Design in der Welt geschieht, zeigt sich, was das Gute dieses Designs gewesen sein wird. Weil die Probleme unserer Welt darauf angewiesen sind, durch Design eine Form zu erhalten, damit wir sie uns aneignen können, verweisen sie durch ihre irreduzible Verkörperung, ihr so und nicht anders Gestaltetsein, immer auch auf ihre potentielle Gestaltbarkeit. Sie stellen dabei mit aus, dass Design und wir mit ihm immer in die Krisen der Welt verstrickt sein werden. Wir und das Design produzieren Krisen, ob wir es wollen oder nicht. Jedoch kann Design auf seine ganz eigene Art und Weise sichtbar machen, dass diese Krisen ausgestaltbar sind, solange wir sie uns nur zu eigen machen und nicht einfach nur lösen wollen. In dem Maße, in dem wir uns von der Krise bestimmen lassen, müssen wir sie auch selbst weiterbestimmen und verarbeiten. Im Falle des Klimawandels lässt sich dieser nicht einfach durch Design lösen. Vielmehr muss er durch Design ein Teil unseres Lebens werden, die Art und Weise wie wir gestalten, denken und handeln mitbestimmen damit wir uns mit ihm verändern. Jede Krise ist dabei der Moment eines kreativen Transformationsprozesses in einem nicht abschließbaren Prozess kontinuierlichen Designs. Für diese Einsicht in das produktive Moment der Krise, müssen wir sie zu allererst – auch mit der Hilfe von Design als Anstoß unseres »kognitiven Metabolismus« (Bonsiepe 2009) – auf diese Art und Weise verstehen lernen. Erst müssen wir die Krise konzeptionell anders fassen. Dann können wir sie anpacken.

Bonsiepe, Gui –  »Kognition und Gestaltung – Die Rolle der Visualisierung für die Sozialisierung des Wissens« in: ders. Entwurfskultur, Basel: Birkhäuser 2009.

Feige, Daniel Martin – Design. Eine philosophische Analyse, Berlin: Suhrkamp 2018.

Latour, Bruno – Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt: Suhrkamp 2008.

Moles, Abraham – »Die Krise des Funktionalismus. Notizen aus einem Seminar an der Hochschule für Gestaltung«, in: form 41, 1968.

Reckwitz, Andreas – Die Erfindung der Kreativität. zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin: Suhrkamp 2012.

Rittel, Horst – Die Denkweise von Designern / Horst W. Rittel. Mit einer Einf. von Wolf Reuter und einem Interview von 1971, Hamburg: Adocs-Verlag 2012.

Rittel, Horst; Webber, Melvin – »Dilemmas in a General Theory of Planning« in: Policy Sciences. 4, 1973.  PDF

Selle, Gert – Geschichte des Designs in Deutschland, Frankfurt am Main: Campus Verlag aktualisierte und erweiterte Neuausgabe 2007.

Sloterdijk, Peter; Voelker, Sven (Hgs.) – Der Welt über die Straße helfen. Designstudien im Anschluss an eine philosophische Überlegung, Paderborn: Verlag Wilhelm Fink 2010.