Ausstellung in Berlin

13.12.2018

Auf dem Jahreskongress des Leibniz-Forschungsverbundes am 12. und 13. Dezember 2018 in Berlin wurden erste Ideenskizzen sowie Gedankenexperimente aus dem laufenden Gestaltungsprozess der Studierenden der HfG Offenbach präsentiert. Diese ersten Arbeiten präsentieren bereits die Bandbreite der künstlerischen und gestalterischen Auseinandersetzung mit dem Thema der Krise.

Wissenschaft ist relevant für die Gesellschaft, aber für ein breites Publikum häufig wenig anschaulich und schwer zu verstehen. Gemeinsam mit jungen Künstler_innen und Gestalter_innen möchten die Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Forschungsverbunds »Krisen einer globalisierten Welt« in einen Dialog mit der Gesellschaft zum Thema »Making Crises Visible« treten und eine Ausstellung für das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt erarbeiten, die im Frühjahr 2020 eröffnen wird.

Ziel ist es, die Verfahren und Ergebnisse exemplarischer Forschungsprojekte zu visualisieren und ein Bewusstsein für die nicht nur lähmende, sondern auch aktivierende Kraft einer Krisendiagnose zu schaffen. Im Laufe zweier Semester entwerfen die Studierenden der Hochschule für Gestaltung Offenbach Plakate, Objekte, Filme und Installationen, über die zu einer eigenen Sprache des Wissenstransfers gefunden werden soll, die klassische Grenzen zwischen Genres und Disziplinen überwindet. 

Die Zwischenpräsentation zur Jahreskonferenz 2018 zeigte erste Ideen in der Entwicklung, die assoziative Einstiege in die Thematik auf ästhetische und emotionale Weise bieten. Diese werden im Folgenden zum Ausgangspunkt für eine intensive künstlerisch-gestalterische Auseinandersetzung mit dem dynamischen Begriff der Krise sowie den konkreten Forschungsprojekten der Leibniz-Institute.

An der Ausstellung in Berlin waren 20 Studierende der HfG Offenbach mit insgesamt 18 Arbeiten beteiligt:

Paul Pape: Only Words
Über unseren Köpfen laufen, unmöglich zu entziffern, angeschnittene Buchstaben über einen Bildschirm. Nur bei aktiver Betätigung eines Schalters wird ein Überblick über den kontinuierlich auf die Betrach­ter_innen zu schwemmenden und nur für den Moment angehaltenen Text möglich. Das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz, passiver Beobachtung und aktiv forschendem Blick in unserem Verhältnis zu den Krisen unserer Zeit wird dadurch auf abstrahierter Ebene reflektierbar.

Jamila Hutchinson: tilt and plane
Das Video zeigt Alltagsszenen in den Metropolen London und Paris mit dem Fokus auf Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft. Wir werden zu Beobachter_innen verschiedener (Inter-)Aktionen, wobei der Fluss der Bilder immer wieder durch eingefrorene Stills, wie von einer Störung, unterbrochen wird. Die Kombination aus kurzzeitiger Stillstellung und längeren Einstellungen ohne Schnitt schafft einen Rhythmus, der dynamisch wirkt und nachdenklich stimmt, indem der Blick verschärft auf Details der Bewegungen und Begegnungen fällt.

Ollanski: Paper Food
Der Illustrator und Künstler Ollanski konstruiert aus Papier Lebensmittel und angerichtete Speisen. Inspiriert von dem Panel »Food insecurity, food price developments, and social protest« der Jahreskonferenz wurden Objekte gefertigt, die mit gedruckten Geldscheinimitaten internationaler Währungen beklebt sind. Die Zusammenhänge zwischen der Preisentwicklung von Nahrungsmitteln und sozialen Fragen, den globalen Nähr- und Tauschwerten von Ernährung werden so veranschaulicht.

Sara Nabil: My Worlds
Auf diesen zwei Matratzen träumte Sara Nabil in ihren ersten Unterkünften in Deutschland immer wieder den gleichen Traum – der sich im Laufe der Zeit bis zu ihrer offiziellen Anerkennung als Asylsuchende aus Afghanistan veränderte. Über in die Kopfkissen integrierte Soundquellen können Besucher_innen den Erzählungen der sich wandelnden Träume folgen. Legt man sich auf die Matratze, sind die leisen Stimmen zwischen Furcht und Hoffnung aus der Nähe zu hören.

Felicithas Arndt, Chunhua Chen,Xinyu Chen, Yiying Gao, Wenyuan Gu, Xinyi Guo, Ming Liu, Yao Liu, Cendan Pan, Shikai Tao, Junjian Wang, Tingwei Xing : Offenbach
In den Pflanzbehältern scheinen Vögel zu nisten. Kokons aus Draht, Folien, Zeitungen und Werbeflyern erinnern an den Nestbau in der Tierwelt, der heute immer stärker auf Abfallmaterialien der Zivilisation als leicht verfügbaren Baustoff zurückgreift. Gleichzeitig könnten die Nester als Architekturmodell für eine Stadt der Zukunft aufgefasst werden, in der wir uns Rückzugsorte zwischen Naturnähe und improvisierter Urbanität schaffen. Offen bleibt, welche Art von Sicherheit diese Form des »Cocooning« bieten und welche neue Formen des Sozialen sie hervor­bringen könnte.

Marie Döhn, Laura Hahn, Anna Maxeiner: Time Crime Rhyme
Einprägsame Reime auf Protestschildern lassen im Dreierpack assoziativ Zwischenräume jenseits linearer Gedankenketten und Kausalitäten entstehen. Sie fordern auf, auf ungewöhnliche Weise über Zusammenhänge zwischen vertrackten Problemlagen, persönlichen Einstellungen und politischen Prozessen nachzudenken und sich zu den jeweils nur angedeuteten Aussagen zu positionieren. Während des Kongresses entstehen weitere Schilder, vor Ort bedruckt mit Statements aus gehörten Beiträgen der Referent_innen.

Adrian Baczyk: Orte
Die Malerei kombiniert fotografische Großstadt­fassaden und Wohntürme mit gestischen, halb abstrakten Farbflächen, die von den architektonischen Formen der Häuserblöcke inspiriert sind. Gebrochene Farbnuancen evozieren eine triste Gestimmtheit, vereinzelte helle Partien deuten Lichtschein an und scheinen beinahe darauf zu verweisen, dass auch die grauesten Betongebäude bewohnt bzw. belebt durch Menschen werden.

Victor König, Timon Osche: Plasti(c)nation
Eine Welt verpackt in Plastik, »eingeschweißt« in gleichförmige Oberflächentextur, glatt und abwaschbar. Ein solches Szenario führt uns die Videoarbeit »Plasti(c)nation« vor, in der unterschiedslos alle Gegenstände, vor allem aber der Plastikmüll selbst, mit einem Filter »verpackt« in Plastikhüllen »konserviert« werden. Die – nicht zuletzt auch haptische – Allgegenwärtigkeit von Kunststoffmaterialien wird somit eindrücklich visuell greifbar gemacht.

Yama Rahimi: Flieg, flieg!
Aus Kleidungsstücken, die Geflüchtete von ihrer Reise mitbrachten oder die ihnen von Helfer_innen in ihren Ankunftsländern gegeben wurden, werden Drachen genäht, die somit auch Textilien unterschiedlicher Herkunft, stellvertretend für die Träger_innen der Kleidung, vereinen. Die Drachen sind lose am Boden platziert und verbildlichen, wie das Potenzial eines jeden Ankommenden vom »Wind in den Segeln« abhängt, der ihm oder ihr von ihrer neuen Gemeinschaft im neuen Land mitgegeben wird.

Xia Li: Make Make America Great Again
Ein Satz, der sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat: Lasst uns Amerika wieder groß machen, den Menschen Identität versprechen, im eigenen bewachten Land, das es zu verteidigen gilt – mit Worten und mit Waffen. Auf die Transformation der Worte selbst zu Waffen, die verwunden, verweist Xia Li, 
indem sie »Make America Great Again« in Einzelbuchstaben zerlegt und diese als 3D-gedruckte Bausteine zu Waffen fügt. Die Ausstellung zeigt drei Versionen dieser unleserlich gewordenen Wortgeschosse, präsentiert in Waffenkoffern.

Julia Pol:Flieg, Paloma!
Angelehnt an die schwarzen Silhouetten fliegender Schwalben, die Vögel vor dem Zusammenstoß mit transparenten Fensterscheiben bewahren sollen, zeigen die Fensteraufkleber taumelnde Tauben kurz vor dem bzw. während des Aufpralls und Absturzes aus luftiger Höhe. Die Warnung vor dem Crash, das Sichtbarmachen einer unsichtbaren Fläche, die zur Wand, vor die man rennt, zu geraten droht, wird somit bildhaft zugespitzt zu einer bereits stattgefundenen Kollision, deren Folgen es zu bewältigen gilt.

Tania Felske: Durchschreiten
Wie fühlt sich die Krise an, wenn man sich Schritt für Schritt an sie herantastet? Meist spüren wir schon lange vor einer Krise, dass sie sich anbahnt. Und nach ihrer Überwindung steuern wir oft bereits auf die nächste zu. Die zyklische Wiederkehr verunsichernder Situationen im Persönlichen, Politischen oder Sozialen ist dabei aber gekoppelt an eine immer wieder mögliche Verarbeitung der Krise als einer Herausforderung. In diesem Sinne lädt die Arbeit ein, buchstäblich Krisen zu durchlaufen und auf eigenen Sohlen ungewisses Terrain zu erkunden.

Jana Bleckmann, Leonie Kunkel: ohne Titel
Ein 80 Watt-Megaphon ist an eine Arduino Physical-Computing-Plattform geschlossen, welche mit einem Sensor die Lautstärke misst und eine Pumpe drei Sekunden lang aktiviert. Sobald laut genug in das Megaphon geschrien wird, bläst eine Pumpe einen 1,30 Meter großen Schrei-Emoji auf. Dieser ist angelehnt an Edvard Munchs »Der Schrei«.

Sitha Reis: Krass die Krise
Entsetzen, Ungläubigkeit, Abscheu, Furcht – viele Emotionen sind als Emojis in standardisierte Zeichen überführt. Ist das aber bereits treffender Ausdruck einer komplexen Krise, wie wir sie angesichts dramatischer Entwicklungen in Gesellschaft und Umwelt erfahren? Wie können wir Gelähmtheit, Alarmiertheit und den Drang, zu Handeln, in allgemein verständliche Mimik verpacken? Oder kann sich Krisenhaftes überhaupt nicht in einem einzigen Symbol kristallisieren, sondern muss emotional widersprüchlich bleiben?

Laura Brunner: Kapitalismus der Krise
Im Zentrum der Plakatserie stehen postmarxistisch geprägte Zitate des »Comité Invisible«, einer aktivistischen Gruppe französischer Autor_innen, über die Verbindung von Krisen und Kapitalismus. Die Aussagen scheinen wir von bunten Lichtstrahlen umspielt, zugleich aber auch geradezu in ein Netzwerk aus farbigen Fäden eingespannt. Auch ohne den genauen konkreten politischen Hintergrund einzubeziehen, lassen sich die grafisch miteinander verwobenen Worte zum Ausgangspunkt vielschichtiger Überlegungen über die Bedeutung des Krisenhaften im Lauf der Geschichte und im Heute nehmen.

Yiying Gao, Jun Jian WangYour Documents, please!
Uniformiertes Personal fordert zum Vorzeigen der Dokumente auf. Doch weder Personalausweis, Reisepass oder Führerschein noch die Bestätigungen über die Registration zur Konferenz sind gefragt. Besucher_innen stoßen auf eine scheinbar »adminis­trative« Barriere, die durch ein Stück Papier gekennzeichnet wird, welches man offensichtlich nicht vorzeigen kann. Die Situation wird unangenehm.
Wer seine Dokumente nicht hat, wird jedoch aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen, und erhält damit die (optionale) Chance, das Geschehen aktiv mitzugestalten.

Felix Kosok: Never miss a good crisis
Eine Soundinstallation greift den inflationären, oft rhetorischen Gebrauch des Wortes »Krise« auf spielerische Weise auf. Dadaistisch und lautmalerisch collagiert reihen sich Ausschnitte aus Zitaten von Politiker_innen und weiteren Personen der medialen Öffentlichkeit zum Thema »Krise«, die krisenhaften Zustände betreffen Volksparteien wie Fußballvereine, das Klima wie den Koalitionsvertrag.

Katharina Ermisch, Isabelle Walther: Krisenjenga
Ein Jengaturm aus Holzstäben steht für die wechselseitige Abhängigkeit von Faktoren, die dem gesellschaftlichen Leben Struktur und Stabilität
verleihen. Die Stäbe stehen für individuelle Bedürfnisse und infrastrukturelle Voraussetzungen. Je mehr Stäbe entfernt werden, desto instabiler wird der Turm. Je nachdem, wie behutsam oder vehement die Bewegungen erfolgen, droht das Gebäude früher oder später in sich zusammenzufallen, sofern nicht auch Bemühungen stattfinden, die Architektur neu zu errichten.

Tania Felske: Überall
Die Kühlschranktür geht auf – und überall ist Plastik. Ein Blick aufs Badezimmerbord – es reihen sich die Kunststoffverpackungen. Ein Gang zum Supermarkt – und was man kauft, wird einfoliert. Plastik ist wohl das alltäglichste Material, mit dem wir umgehen, das wir sammeln, um es wegzuwerfen. Plastik­müll zu vermeiden, erscheint als Herkulesaufgabe. Die zusammengenähten Plastikdecken kehren in der Ausstellung mehrfach wieder, wie unliebsame alte Bekannte, und zeigen das Problem in allen Farben der Verpackungswelt.

Jana Bleckmann, Paul PapeSchiedsgericht
Am Verhandlungstisch kommen verschiedene Parteien auf Augenhöhe zusammen – so zumindest das Konzept der Schiedsgerichtsbarkeit im Ideal. Schiedsgerichte können bei Konflikten zwischen zwei Staaten, aber auch zwischen einem Staat und einem Unternehmen oder zwei Unternehmen eingesetzt werden. Ein wichtiges Merkmal der Schiedsgerichtsbarkeit ist die Autonomie der Parteien über die Gestaltung des Verfahrens. Auch wenn diese sich in der Geschichte gewandelt hat, so verfügen die Parteien noch heute über weitgehende Freiheiten, darüber, nach welchen Verfahrensregeln das Verfahren durchgeführt wird, wer als Schiedsrichter_in eingesetzt wird und welches Recht zur Anwendung kommt. Die Modelle illustrieren drei Konstellationen von Schieds­gerichten an konkreten Fällen.